widerrufsrecht-kundenspezifikation-auch-ohne-information-in-widerrufsbelehrung

Gerichte jetzt großzügiger: Ausschluss des Widerrufsrechtes bei Kundenspezifikation auch dann, wenn über diesen Ausschlussgrund nicht in der Widerrufsbelehrung informiert wird

Das Gesetz sieht vor, dass das Widerrufsrecht bei sogenannten Kundenspezifikationen ausgeschlossen ist.

Die aktuelle Definition der Kundenspezifikation gem. § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist hierbei in der Fassung seit dem 13.06.2014 sehr viel ausführlicher gefasst und auch verständlicher. Es heißt dort:

Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:

1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.

Was ist eine Kundenspezifikation?

Zu dieser Frage gibt es einen bunten Strauß von Rechtsprechung, die – so unser Eindruck – zu Lasten des gewerblichen Händlers oftmals keine Kundenspezifikation annimmt. So liegt uns beispielsweise eine Entscheidung vor, dass bei einer Ringbestellung, die über 4.000 Kombinationen zulässt und die extra für den Verbraucher nach Bestellung angefertigt werden, im Rechtssinne keine Kundenspezifikation vorliegt. Hierbei handelte es sich um eine Entscheidung nach altem Recht in der Fassung vor dem 13.06.2014.

Zwei aktuelle Entscheidungen lassen jedoch für den Internethandel Hoffnung aufkeimen.

Kundenspezifikationen bei Möbeln

Eine Kundenspezifikation beim Angebot von Möbeln ist nach einer Entscheidung des Landgerichtes Düsseldorf (LG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2014, Az: 23 S 111/13) dann gegeben

– wenn die Lieferzeit 12 -16 Wochen beträgt
– der Kunde eine Auswahl von insgesamt 578 Gestaltungsmöglichkeiten hat

In diesem Fall wurde der Kunde in dem Internetangebot ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Sofa aufgrund der Vielzahl der Auswahlmöglichkeiten individuell für den Kunden angefertigt wird. Nach Ansicht des Landgerichtes, das diese Frage in zweiter Instanz in der Berufung entschieden hat (somit durchaus mehr “wert”, als ein reines Amtsgerichtsurteil) kommt es nicht darauf an, dass der Verbraucher eine unbeschränkte Auswahlmöglichkeit hat. Es genügt, wenn die Ware aus einer Angebotspallette individuell zusammengestellt werden kann.

Für die Frage, ob eine Kundenspezifikation vorliegt, war es für das Gericht wichtig, ob eine Rücknahme dem Unternehmer zumutbar war. Der Bundesgerichtshof hatte bereits im Jahr 2003 (BGH-Urteil vom 19.03.2003, Aktenzeichen VIII ZR 295/01) dies als Wertungsmaßstab für die Frage der Kundenspezifikation eingeführt. Damals ging es um ein Notebook, das aus Standardbauteilen zusammengesetzt wurde. Diese lassen sich einfach wieder auseinandernehmen und weiterverkauft werden.

In dem vom Landgericht Düsseldorf entschiedenen Fall hatte der Internethändler vorgetragen, dass ein zurückgenommenes Sofa nur noch mit einem Preisnachlass von 50 % verkauft werden kann.

Auch für Möbel entschieden: AG Siegburg

Auch das Amtsgericht Siegburg (AG Siegburg, Urteil vom 25.09.2014, Aktenzeichen 115 C 10/14) hatte die Frage eines Sofakaufs über das Internet zu entscheiden. Es gab über 100 Varianten des Sofas. Hierzu hatte das Amtsgericht ebenfalls angenommen, dass der Verbraucher kein Widerrufsrecht aufgrund einer Kundenspezifikation hatte. Angesichts der Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten der Ware und der individualisierten Herstellung und der Anfertigung der Ware nach Bestellung sei das Merkmal der “Kundenspezifikation” erfüllt.

Wo ist die Grenze?

Man wird sicherlich nicht sagen können, dass eine bestimmte Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten überschritten werden muss, damit das Merkmal der Kundenspezifikation einschlägig ist. Das Urteil des Amtsgerichtes Siegburg zeigt, dass dies bereits ab 100 Kombinationsmöglichkeiten losgeht. Wichtig dürfte insbesondere die Frage sein, ob die Ware im Falle eines Widerrufes für den Händler noch verwertbar ist und ob diese tatsächlich individuell angefertigt wird.

Ausschlussgrund des Widerrufsrechtes bei Kundenspezifikationen gilt auch dann, wenn darüber nicht informiert wird.

Über die Frage auch des Nichtbestehens des Widerrufsrechtes muss eigentlich in der Widerrufsbelehrung informiert werden. Wettbewerbsrechtlich korrekt wäre es, den Ausschluss des Widerrufsrechtes beim Angebot von Kundenspezifikationen in der Widerrufsbelehrung zu erläutern. Der Verbraucher wüsste dann, woran er ist.

Notwendig ist dies, so das Landgericht Düsseldorf, jedoch nicht:

“Offen bleiben kann, ob die Belehrung über das Nichtbestehen des Widerrufsrechtes vorliegend den Anforderungen des Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB entspricht. Jedenfalls führt die unterbliebene oder fehlerhafte Belehrung nicht dazu, dass dem Verbraucher entgegen § 312 d Abs. 4 Nr. 1 BGB ein Widerrufsrecht zusteht. Eine solche Rechtsfolge sieht das Gesetz nicht vor. Der Unternehmer verhält sich in diesem Fall zwar wettbewerbswidrig, so dass ein Konkurrent Unterlassung verlangen kann. Möglicherweise stehen dem Verbraucher in diesem Fall auch Schadenersatzansprüche zu. Jedenfalls begründet die fehlerhafte Belehrung kein Widerrufsrecht, auf das es vorliegend allein ankommt.”

Die vom Gericht benannten Normen beziehen sich noch auf die Rechtslage vor dem 13.06.2014.

Das Gericht hat im Übrigen Recht: Die Frage ob ein Widerrufsrecht besteht oder nicht ist letztlich eine objektive Frage, die nicht von Art und Umfang der Belehrung abhängt. Die fehlende Information in der Widerrufsbelehrung selbst kann zwar Gegenstand einer Abmahnung sein, da der Händler sich wettbewerbswidrig verhält. Ein Widerrufsrecht entsteht jedoch nicht bereits dadurch, dass eine Information über einen Ausschlussgrund fehlt.

Zutreffend ist auch, dass der Verbraucher theoretisch Schadenersatzansprüche hat. Diese Rechtsfolge einer fehlenden Information ist schon seit vielen Jahren Bestandteil üblichen Kommentarliteratur. Welcher Schaden dies sein könnte, ist jedoch unklar.

Folge: Wenn nach den gesetzlichen Voraussetzungen kein Widerrufsrecht besteht, dann besteht auch dann kein Widerrufsrecht, wenn darüber nicht informiert wird.

Was wir damit sagen wollen: Bei der Frage, ob ein Verbraucher ein Widerrufsrecht hat oder ob einer der Ausschlussgründe des Widerrufsrechtes einschlägig sein können, kommt es schlichtweg und alleine auf die objektive Situation an. Es kommt nicht darauf an, ob über das Nichtbestehen des Widerrufsrechtes in bestimmten Fällen in der Widerrufsbelehrung selbst auch informiert wird.

Dies mag nicht wettbewerbskonform sein, kann Händlern jedoch aktuell weiterhelfen, wenn diese im Einzelfall den Widerruf eines Verbrauchers nicht akzeptieren möchten.

Folgende Ausschlussgründe für das Widerrufsrecht kommen in Betracht (nicht vollständig):

1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,
2. Verträge zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde,
3. Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
4. Verträge zur Lieferung von Waren, wenn diese nach der Lieferung auf Grund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden,
5. Verträge zur Lieferung alkoholischer Getränke, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat,
6. Verträge zur Lieferung von Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
7. Verträge zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierten mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen.

Wenn somit bspw. ein versiegeltes Hygieneprodukt verkauft worden ist, ohne dass dies in der Widerrufsbelehrung erwähnt wird, gibt es somit zukünftig keinen Grund mehr, bei Entsiegelung dieses Produktes durch den Verbraucher den Widerruf zu akzeptieren.

Stand: 20.10.2014
Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard, Rostock

https://ssl-vg03.met.vgwort.de/na/2760a34d219043479e02fa30a08c1c18