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Häufig übersehen: Unterlassung kann auch Rückruf bedeuten
Wettbewerbsrechtliche oder markenrechtliche Ansprüche sind in erster Linie auf eine Unterlassung gerichtet. Unterlassung ist zunächst einmal das Gegenteil von aktiven Tun. Dies bedeutet, dass eine bestimmte Handlung nicht mehr vorgenommen werden darf.
Da die gesetzlichen Ansprüche im Wettbewerbs- und Markenrecht bspw. auf Unterlassung gerichtet sind, heißt es sowohl in einer Abmahnung beigefügten Unterlassungserklärung wie aber auch in einer einstweiligen Verfügung eines Gerichtes, dass der Abgemahnte eine bestimmte Handlung zukünftig zu unterlassen habe. Der Abgemahnte, der in einer Unterlassungserklärung oder einer einstweiligen Verfügung sieht, dass er zukünftig etwas unterlassen soll, nimmt nicht zwangsläufig an, dass seine Verpflichtungen weit darüber hinausgehen.
Unterlassung kann auch Beseitigung sein
Insbesondere, wenn es sich um Unterlassungsansprüche handelt, die sich auf in Verkehr gebrachte Produkte beziehen, ist es aufgrund aktueller BGH-Rechtsprechung nicht mehr damit getan, diese Produkte zukünftig nicht mehr zu vertreiben. Mit den BGH-Entscheidungen „Hot Sox“ (Az.: I ZR 109/14) und „Rescue Tropfen“ (Az.: I ZB 34/15) hatte der Bundesgerichtshof ein neues Problemfeld eröffnet:
Obwohl es in einem Unterlassungsurteil ausweislich des Tenors nur um das Unterlassen geht, nimmt der BGH neuerdings weitreichendere Verpflichtungen an:
Ein Unterlassungsgebot umfasst immer auch die Verpflichtung zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner (d.h. der Abgemahnte) Produkte an gewerbliche Wiederverkäufer, sogenannte Abnehmer, vertrieben hat. In diesem Fall besteht die Verpflichtung des Schuldners, auf die Abnehmer einzuwirken, wenn ihm dies rein tatsächlich möglich ist. Diese Einwirkung kann in der Praxis in einem Rückruf der ausgelieferten Produkte bestehen. Alternativ kann eine Aufforderung an die Abnehmer ausreichen, das Produkt vorerst nicht weiterzuverarbeiten oder weiter zu betreiben.
Die Verpflichtungen aus einem Unterlassungsurteil sind somit über den Wortlaut hinaus sehr viel weitreichender.
Die unter Juristen geäußerte massive Kritik an dieser Rechtsprechung hat den BGH kalt gelassen.
Einschränkung bei einer einstweiligen Verfügung
Ein wenig ist der BGH in der Entscheidung „Produkte zur Wundversorgung“ (Az.: I ZB 96/16) zurückgerudert:
Zumindest bei einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung schränkt der BGH die Rückrufverpflichtung ein. Diese soll im einstweiligen Verfügungsverfahren nur noch bei Vorliegen besonderer Umstände gelten, da es sich ansonsten um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln würde. Auch im einstweiligen Verfügungsverfahren kann somit ein Rückrufanspruch bestehen, wenn bspw. konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Schuldner versucht hat, sich seiner Unterlassungsverpflichtung durch eine schnelle Weiterveräußerung der fraglichen Waren zu entziehen oder wenn ein Fall von Produktpiraterie vorliegt.
Was jedoch bleibt ist die Verpflichtung, die Abnehmer (Wiederverkäufer) aufzufordern, die entsprechenden Produkte im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiter zu vertreiben. Diese Verpflichtung bleibt auch bei einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung.
Hinsichtlich einer Rückrufverpflichtung bzw. einer Aufforderung an die Abnehmer, die Waren zunächst nicht weiter zu vertreiben, hat der Bundesgerichtshof lediglich zwischen einem Hauptsacheurteil auf Unterlassung und einer einstweiligen Verfügung entschieden. Sollte jedoch eine Unterlassungserklärung abgegeben worden sein und es somit gar nicht erst zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen sein, dürfte die Unterlassungserklärung auf jeden Fall einen Rückrufanspruch umfassen.
Was diese Rechtsprechung für Abgemahnte bedeutet
Gerade wenn es um den Vertrieb von Produkten geht, schlimmsten Falls um solche, die an gewerbliche Abnehmer und Wiederverkäufer verkauft werden, liegt es auf der Hand, dass eine entsprechende Abmahnung weitreichend ist. Wenn diese Abmahnung zur Folge hat, dass die Produkte nicht mehr vertrieben werden dürfen, bietet es sich aufgrund der weitreichenden Rechtsfolge an, keinesfalls eine Unterlassungserklärung abzugeben. Die Gefahr einer Vertragsstrafe nach Abgabe einer Unterlassungserklärung ist außerordentlich hoch. Es ist in diesen Fällen relativ leicht festzustellen, aus welchen Quellen ein Produkt, welches Gegenstand einer Abmahnung war, stammt. Ein Weitervertrieb durch Abnehmer kann daher eine Vertragsstrafe zur Folge haben.
Keine Unterlassungserklärung abzugeben und es auf ein gerichtliches Verfahren ankommen zu lassen, kann in diesen Fällen eine wirtschaftliche sinnvolle Alternative sein.
Eine Einschränkung einer Unterlassungserklärung in der deutlich gemacht wird, dass lediglich die Verpflichtung zur Unterlassung, nicht jedoch zum Rückruf abgegeben wird, bietet sich in diesen Fällen nach unserer Auffassung nicht an.
Ein Problem haben in erster Linie Abgemahnte, die problematische Waren an gewerbliche Abnehmer und Wiederverkäufer verkauft haben. In diesem Fall muss der Abgemahnte den Rückruf zumindest versuchen, und zwar nachweisbar.
Zweischneidiges Schwert
Die neue Rückrufrechtsprechung des BGH ist jedoch auch für Abmahner nicht ganz unproblematisch:
Sollte sich später herausstellen, dass eine beantragte und erlassene einstweilige Verfügung wieder aufgehoben wird, drohen dem Abmahner aufgrund eines Rückrufes oder der Aufforderung, die Ware zunächst nicht weiter zu vertreiben, erhebliche Schadenersatzansprüche gemäß § 945 ZPO. Aus dieser Konstellation kann sich für den Abmahner somit ein erhebliches Haftungsrisiko ergeben.
Diese Aspekte berücksichtigen wir selbstverständlich im Rahmen einer Beratung, wenn Sie aufgrund von wettbewerbs- oder markenrechtlichen Verstößen bei dem Vertrieb eines Produktes abgemahnt wurden.
Siehe auch: Zweifel des OLG Düsseldorf: Ist die Rückrufrechtsprechung des BGH verfassungskonform?
Stand: 06.01.2020
Es beraten Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke