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Fliegender Gerichtsstand in Wettbewerbssachen gilt nicht in Aurich – weil Aurich keinen Bahnhof hat
aktuell: Wahl des Gerichtsstandes kann Indiz für Rechtsmissbrauch sein (LG Frankfurt / Oder)
Eine etwas sonderbare Entscheidung erreicht uns von dem Landgericht Aurich (LG Aurich, Beschluss vom 22.01.2013, Az.: 6 O 38/13). Es geht um die Wahl des Gerichtsstandes bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen im Internet. Noch gilt hier der sogenannte fliegende Gerichtsstand, was bedeutet, dass der Abmahner sich das Gericht aussuchen kann. Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit kann es ggf. geben, wenn der Gerichtsstand absolut willkürlich gewählt wurde und letztlich nur dazu dient, um gesonderte Kosten zu erzeugen. Entsprechende Rechtsprechung ist jedoch sehr selten.
In dem Verfahren ging es um eine einstweilige Verfügung auf Grund von Angebotsbedingungen und der Widerrufsbelehrung eines eBay-Händlers. Ein Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wurde in Aurich eingereicht. Aurich ist gaaanz weit weg von allem (zoomen Sie mal raus).
Das Landgericht Aurich hat den Antrag als unzulässig angesehen, da die Wahl des Gerichtsstandes Aurich im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich sei. In der Entscheidung heißt es:
“Ein solcher Fall des Rechtsmissbrauchs ist hier offenkundig gegeben.
Es ist nämlich aus keinem anderen Gesichtspunkt als dem der Schadenszufügung und der arglistigen Erschwerung der Rechtsverteidigung des Antragsgegners zu erklären, dass die Antragstellerin die einstweilige Verfügung ausgerechnet in Aurich beantragt. Es wäre nachvollziehbar und legitim, wenn die Antragstellerin – außer im Gerichtsstand des Antragsgegners – entweder an ihrem eigenen Sitz oder am Sitz ihres Prozessbevollmächtigten in Berlin den Antrag stellen würde, denn es kämen dann jeweils eigene Ersparnisse, sei es für eine Informationsreise oder für die Terminswahrnehmung des Prozessbevollmächtigten, in Betracht. Die Auswahl des Gerichtsstandes Aurich lässt hingegen überhaupt keinen Bezug zur Antragstellerin, zur Antragsgegnerin, zur Sache oder zum Sitz ihres Prozessbevollmächtigten erkennen.”
Aurich selbst hält sich offensichtlich für mehr als abgelegen, sozusagen am Ende der Welt. Es geht nämlich weiter mit:
“Daraus erschließt sich die Absicht, den Antragsgegner durch die Wahl eines im Bundesgebiet abgelegenen und von seinem Geschäftssitz verkehrsmäßig nur schwer (Aurich hat keinen Bahnhof für Personenbeförderung) zu erreichenden Gerichtsortes zu benachteiligen. Er müsste nämlich für den Widerspruch gegen eine etwaige einstweilige Verfügung entweder einen ihm unbekannten Rechtsanwalt am Gerichtsort beauftragen oder einen am Wohnort ansässigen Anwalt für die Tagesreise nach Aurich und zurück honorieren.”
Das Selbstbewusstsein von Aurich bzw. des Landgerichts Aurich ist offensichtlich mehr als gering. Ganz offensichtlich ist nach Ansicht des Landgerichts Aurich Aurich keine Reise wert. Nicht nur das. Die Kollegen in Aurich, die im Fall einer Terminswahrnehmung zu Gericht gehen müssten, um (unbekanntes?) Wettbewerbsrecht zu vertreten, wären den Parteien unbekannt. Offensichtlich aus eigener Praxiserfahrung sieht dies das Landgericht Aurich als erheblich nachteilig an. Ehrlicherweise sind uns auch keine Kollegen in Aurich bekannt, die sich intensiv mit dem Wettbewerbsrecht beschäftigen. Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss selbstverständlich nicht, dass dort nur Kollegen sind, bei denen die Eigenschaft “unbekannt” irgendwelche Nachteile haben könnte.
Wir hätten es selbst nicht gedacht, Aurich hat jedoch tatsächlich keinen Bahnhof zur Personenbeförderung. Zum Auricher Bahnhof gibt es sogar eine eigene Wikipedia-Seite, der zu entnehmen ist, dass seit 1967 der Personenverkehr nach Aurich eingestellt worden ist. Dies mag Gefühle der Abgeschiedenheit aufkommen lassen. Statistisch gesehen haben jedoch viele Rechtsanwälte sogar ein Automobil, so dass die schwere Erreichbarkeit wohl eine gefühlte des Landgerichtes Aurich ist. Zudem ist Aurich, dies sollte man nicht abwerten, von Leer in Ostfriesland mit dem Bus erreichbar.
Wir dürfen zudem von der offiziellen Internetseite aurich.de zitieren:
“In Aurich spiegelt sich die hohe Lebensqualität Ostfrieslands in den Freizeitangeboten wider.
Sie werden überrascht sein, welche Möglichkeiten sich hier bieten.”
Dass es sich um einen “bösen” Vielfachabmahner handelt, hat das Landgericht im Übrigen über das Internet, nämlich mit der “Suchmaschine Yahoo”, recherchiert. Dies überrascht ein wenig. Wir kennen schlichtweg niemanden, der die Suchmaschine Yahoo nutzt.
Wir möchten es daher nicht überspitzt auf die Punkte bringen: “kein Bahnhof”, “kein Google”…
Da verirrt sich mal ein Abmahner nach Aurich und dann sowas.
Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard, Rostock
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