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13 Indizien: Wann eine Abmahnung wegen unzulässiger Werbung Rechtsmissbrauch ist

Werbung per E-Mail oder Telefax ist in der Regel nur dann zulässig, wenn vorher ein ausdrückliches Einverständnis des Empfängers in die Übersendung der Werbung erklärt wurde. Einige Rechtsanwälte, wie jedoch auch Verbraucher haben sich „darauf spezialisiert“, Unternehmen abzumahnen, wenn eine unzulässige Werbe-E-Mail oder ein Fax versandt werden. Nach unserem Eindruck geht es in diesen Fällen weniger um Unterlassungsansprüche, als vielmehr um Rechtsanwaltskosten oder die Option, Vertragsstrafenansprüche geltend machen zu können.

Rechtsmissbrauch bei einer Abmahnung wegen unzulässiger Werbung

Eine Abmahnung wegen einer angeblich unzulässigen E-Mail Werbung hat ihre Anspruchsgrundlage in der Regel nicht im Wettbewerbsrecht (UWG) sondern im BGB. Im UWG gibt es in § 8 Abs. 4 UWG eine ausdrückliche Regelung zur rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen. Bei einer Abmahnung wegen einer angeblich unzulässigen Werbung ist § 8 Abs. 4 UWG nicht direkt anwendbar. Die dortigen Regelungen können jedoch herangezogen werden, um die Frage eines möglichen Rechtsmissbrauchs einer Abmahnung zu beurteilen.

Brandenburgisches Oberlandesgericht: Rechtsmissbrauch bei einer Abmahnung wegen Werbung

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG Brandenburg, Urteil vom 26.06.2020, Az. 6 U 119/19) hat in einer wirklich bemerkenswerten Entscheidung eine Klage auf Unterlassung aufgrund eines Werbefaxes wegen Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen.

Nach Ansicht des OLG verfolgte die Klägerin mit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele, insbesondere um zu Gunsten der Klägerin Zahlungsansprüche zu generieren. Die einzelnen Indizien, die das OLG herausgearbeitet hat, können auch für andere Verfahren eine Richtschnur sein

1. Überhöhte Vertragsstrafe in der geforderten Unterlassungserklärung

Nach Ansicht des OLG war bereits die Abmahnung rechtsmissbräuchlich, da ein Kostenbelastungsinteresse im Vordergrund stand:

„Ein maßgebliches Indiz dafür ist die Forderung nach überhöhter Vertragsstrafe unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs, wie sie in der von der Klägerin vorformulierten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vorgegeben ist: die Klägerin hat dort der Beklagten zu 1) und Herrn M… B… für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.001 € unterbreitet, obwohl im Hinblick auf das Gewicht des inkriminierten Verstoßes, nämlich der Versendung eines einzelnen Telefaxes mit Werbung, der für sich genommen geringfügig und leicht zu ermitteln ist, ein Betrag von 1.000 bis 1.500 € als angemessen anzusehen sein dürfte.“

2. Vorformulierte Unterlassungserklärung beinhaltete Verpflichtung, Abmahnkosten innerhalb einer Woche zu erstatten

„Mit der vorformulierten Erklärung hat die Klägerin ferner eine Verpflichtung der Beklagten dahin gefordert, ihr die Kosten der Inanspruchnahme ihres Rechtsanwalts aus einem Streitwert von 10.000 € zu erstatten mittels Überweisung binnen “1 Woche” nach Unterzeichnung der Erklärung, andernfalls die vorgenannte Vertragsstrafe verfalle.“

3. Nur die der Abmahnung beigefügte Unterlassungserklärung wurde akzeptiert

„Auch der Hinweis der Klägerin im Abmahnschreiben betreffend die vorformulierte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, „Nur diese strafbewehrte Erklärung kann den Unterlassungsanspruch erledigen“, weist darauf, dass das eigentliche Motiv für die Abmahnung in der Generierung von Kostenerstattungsansprüchen liegt. Denn mit diesem Hinweis hat die Klägerin suggeriert, nur mit dem Wortlaut der vorformulierten Erklärung könne die Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden, mithin sei auch die dort enthaltene Verpflichtung zur Übernahme der Kosten des vorgerichtlich für die Klägerin auftretenden Rechtsvertreters für den Ausschluss der Wiederholungsgefahr zwingend.“

4. Wenn Anwaltskosten nicht fristgerecht gezahlt werden, fällt eine Vertragsstrafe an

„Zudem sollte nach der von der Klägerin den Inanspruchgenommenen unterbreiteten Formulierung die Vertragsstrafe, die zu zahlen sich die Beklagten zu verpflichten hatten, auch dann verfallen, wenn diese Rechtsanwaltskosten nicht fristgerecht auf dem Konto ihres Rechtsvertreters eingegangen waren, wobei die Klägerin eine – auffällig kurze – Zahlungsfrist von einer Woche setzte und die zu zahlenden Gebühren nicht konkret bezeichnete, sondern nur die Bemessungsgrundlagen nach RVG darstellte (1,3 Gebühr gemäß 2300 VV RVG zuzüglich Auslagen nach einem Streitwert von 10.000 €) und die Ermittlung des tatsächlich geschuldeten Betrages den Inanspruchgenommenen, juristischen Laien, überließ. Damit hat die Klägerin das Risiko der Inanspruchgenommenen, nicht fristgerecht den vollen Betrag zu zahlen und bereits deshalb die Vertragsstrafe zu verwirken, in deutlicher Weise erhöht, ohne dass dafür ein berechtigtes Interesse ihrerseits erkennbar wäre.“

5. Überhöhter Streitwert

„Zudem hat sie den Inanspruchgenommenen für die Bemessung der Rechtsanwaltskosten einen unzutreffenden, überhöhten Gegenstandswert vorgegeben.

Der von der Klägerin mit der Abmahnung und später bei Erhebung der Klage angesetzte Gegenstandswert ist weit überhöht. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung im hier zu entscheidenden Rechtsstreit am 30.11.2018 war der Klägerin die Entscheidung des Senats vom 28.08.2018 (6 W 110/18) bekannt, wonach bei Streitigkeiten wegen Zusendung unerwünschter Werbung, an der nicht Mitbewerber im Sinne des UWG beteiligt sind, wie es hier der Fall ist, ein Gebührenstreitwert von 3.000 € anzunehmen ist und eine Vervielfachung des Streitwerts entsprechend der Anzahl der in Anspruch genommenen Gegner nicht in Betracht kommt. In diesem Beschwerdeverfahren, an dem die Klägerin selbst beteiligt war, hatte der Senat im Einzelnen die für die Wertbestimmung maßgeblichen Gründe ausgeführt und ferner, aus welchen Gründen eine Vervielfachung des Gegenstandswertes bei der Inanspruchnahme mehrerer Beklagter ausgeschlossen sei.“

6. Verdacht, der Rechtsanwalt betreibt Abmahnungen in eigener Regie

„Der Umstand, dass der Abmahnung eine Vollmacht zu Gunsten des für die Klägerin auftretenden Rechtsanwalts nicht beigefügt, sie mithin nicht ordnungsgemäß war, und die nachgereichte Vollmacht erst vom 22.06.2018 datierte, während die Abmahnung selbst bereits am 14.06.2018 ausgesprochen worden ist, begründet hier zudem weiter den Verdacht, der beauftragte Anwalt betreibe die Abmahnungen in eigener Regie jedenfalls als Geschäft.“

7. Schriftsätze mit Textbausteinen, die schwer lesbar sind

„Hinzu kommt, dass die Klägerin, wie dem Senat aus einer Reihe von gerichtlichen Verfahren bekannt ist und wie auch die Beklagten zutreffend monieren, ihre Abmahnschreiben und bei Gericht eingereichten Schriftsätze textbausteinähnlich aus abstrakten Ausführungen zusammensetzt und nur ganz vereinzelt auf den individuellen Vorwurf zuschneidet. Zudem ist die in den Schriftsätzen gewählte Schriftgröße und der Zeilenabstand derart klein, dass das Lesen des jeweiligen Textes stark erschwert ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass durch diese Gestaltung der Leser in die Gefahr geraten soll, Wichtiges zu übersehen.“

8. Inanspruchnahme des Geschäftsführers, um den Streitwert zu erhöhen

„Die Klägerin hat zudem neben der Beklagten zu 1) als das Unternehmen, das die inkriminierte Werbung verantwortet, auch den Beklagten zu 2) als deren Geschäftsführer auf Unterlassung in Anspruch genommen und hat dies mit einer (behaupteten) bundesweiten Rechtsprechung begründet unter Zitierung von Entscheidungen, die allerdings nicht zum Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ergangen sind, sondern zu urheberrechtlichen Streitigkeiten bzw. zu solchen, welche die Verletzung absoluter Rechte betreffen. Diese Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen. Es liegt mithin nahe, dass die Inanspruchnahme des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) allein zu dem Zweck erfolgt ist, (unrichtigerweise) einen höheren Gegenstandswert zu begründen.“

9. Abmahner verschwieg relevante Dokumente und Informationen im gerichtlichen Verfahren

„Ein weiteres Indiz für rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt der Umstand dar, dass die Klägerin bei Gericht mehrere relevante Dokumente weder mit der Klage-, noch mit der Antragsschrift im Einstweiligen Verfügungsverfahren vorgelegt hat, nämlich die von ihr vorformulierte und den Beklagten mit dem Abmahnschreiben als zwingend unterbreitete Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung und die Erwiderung der Beklagten vom 22.06.2018 auf die Abmahnung der Klägerin zu Händen ihres Rechtsvertreters am selben Tag per email zugegangen. Dadurch hat sie gegenüber dem Gericht den aufgezeigten unberechtigten Inhalt der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verschleiert und zudem den falschen Eindruck erweckt, die Beklagten hätten auf ihre Abmahnung nicht reagiert. Dadurch hat sie das angerufene Gericht veranlasst, das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verkürzen, denn wegen des zwingend der Gegenseite einzuräumenden rechtlichen Gehörs wäre die von der Klägerin mit dem Antrag auf Einstweilige Verfügung begehrte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur zulässig gewesen, wenn die vorgerichtliche Erwiderung des Gegners zu dem inkriminierten Sachverhalt dem Gericht vollständig vorgelegen hätte.“

10. Unredliche Beeinflussung und falscher Vortrag im einstweiligen Verfügungsverfahren

„Weiter hat die Klägerin die Entscheidung des Landgerichts über den Erlass einer Beschlussverfügung durch unzutreffende Angaben unredlich beeinflusst. Sie hat behauptet, die Beklagten seien ihr unbekannt, obwohl sie, wie sie dann im Verlauf des Klageverfahrens eingeräumt hat, in dem Zeitraum 2014 bis 2017 mehrfach bei ihr Bestellungen getätigt hatte. Diese unrichtige Sachdarstellung hat sie zunächst aber auch noch im Klageverfahren wiederholt.“

11. Verschweigen des Prozessvertreters der Beklagten

„Im Klageverfahren hat sie zudem – die Rechte der Beklagten weiter beeinträchtigend – die Rechtsanwälte, die sich bereits im Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung als Prozessbevollmächtigten für die Beklagten bestellt hatten, nicht als Prozessvertreter benannt.“

12. Inanspruchnahme eines unbeteiligten Dritten als Geschäftsführer

„In dem Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung hat die Klägerin schließlich mit Herrn M… B… einen unbeteiligten Dritten als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) in Anspruch genommen, obwohl sich aus dem Telefax, das Gegenstand des Verfahrens war, gut leserlich der Name des hiesigen Beklagten zu 2) als Geschäftsführer ergab. Nach Zustellung der Beschlussverfügung hat die Klägerin sodann zur Abgabe einer Abschlusserklärung aufgefordert, und zwar neben der Beklagten zu 1) nunmehr als Geschäftsführer den hiesigen Beklagten zu 2), aber auch Herrn M… B….“

13. Aufforderung, ein unbeteiligter Dritter sollte eine Abschlusserklärung abgeben

„Diesen hat sie, nachdem sie ihn im Einstweiligen Verfügungsverfahren fälschlich als Geschäftsführer in Anspruch genommen und diesen Irrtum dann offenbar erkannt hatte, zur Abgabe der Abschlusserklärung mit der – wiederum unrichtigen – Begründung aufgefordert, er sei „Unterzeichner des Werbefaxes“ vom 12.06.2018, tatsächlich weist dieses aber, wie die zur Akte gereichte Kopie zeigt, eine Unterschrift nicht auf. Die nachhaltige Inanspruchnahme eines dritten Unterwerfungsschuldners lässt sich wiederum nur mit einem sachfremden Kostenbelastungsinteresse erklären.“

Vor diesem Hintergrund spielte der Umstand, dass die Klägerin offensichtlich regelmäßig vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) sowie bei dem Amtsgericht Fürstenwalde/Spree Unterlassungsansprüche geltend macht, für das OLG keine Rolle mehr.

Es mag in dem hier entschiedenen Fall ungewöhnlich viele Indizien gegeben haben, die für einen Rechtsmissbrauch sprachen. Einzelne Aspekte, die das OLG Brandenburg herausgearbeitet hat, lassen sich jedoch durchaus auch auf andere Abmahnungen wegen angeblich unzulässiger Werbung übertragen.

Wir beraten Sie bei einer Abmahnung wegen angeblich unzulässiger Werbung.

Stand: 09.09.2020

Es beraten Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke