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Wann liegt Rechtsmissbrauch bei einer Abmahnung vor? – die 11 Indizien des OLG des OLG Hamm

Vorab ein Hinweis: Post vom Rechtsanwalt bekommen und Abmahnung erhalten? Rufen Sie an, wir beraten Sie sofort!

Das deutsche Wettbewerbsrecht “leidet” an der Eigenart, dass der Abgemahnte bei einer berechtigten Abmahnung gemäß § 12 Abs. 1 UWG die Anwaltskosten der Abmahnung zu erstatten hat. Gäbe es diese Norm nicht, würden sich wettbewerbsrechtliche Abmahnungen auf wirklich wichtige Fälle beschränken. Einige wenige Rechtsanwälte haben jedoch wettbewerbsrechtliche Abmahnungen gerade im Internet quasi als die Lizenz zum Gelddrucken entdeckt und dies schon seit Jahren.

Der Gesetzgeber hat mit § 8 Abs. 4 UWG ein Korrektiv eingeführt:

§ 8 Abs. 4 UWG

Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.

In der Praxis ist Rechtsmissbrauch oftmals nicht leicht nachweisbar. Ein wichtiges Indiz ist die wirtschaftliche Größe des Abmahners sowie in erster Linie die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen im Zusammenhang mit den geltend gemachten Kosten. Kritisch wird es immer dann, wenn der Umsatz (nicht der Gewinn!) der kumulierten Anzahl der Abmahnungen nicht einmal den Gesamt-Rechtsanwaltskosten entspricht. Eine solche Vorgehensweise lässt sich mutmaßlich nur dadurch finanzieren, indem der abmahnende Anwalt auf eigene Rechnung arbeitet, auch dieser Umstand ist sehr schwer nachzuweisen.

Hartleibige Gerichte

Das Argument des Rechtsmissbrauches wird ferner vor vielen Gerichten nicht gern gehört. Es gilt im klassischen “guten” Wettbewerbsrecht nach unserer Einschätzung wohl eher als Schmuddelargument. Gerichte, die nur wenig mit wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen im Internet zu tun haben, verschließen sich oftmals gern jeglichen Argumenten zum Rechtsmissbrauch. So hat bspw. das OLG Celle über 160 Abmahnungen einer eBay-Händlerin in fünf Jahren – anders als die erste Instanz – nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen.

Hinzukommt, dass einige OLG-Bezirke auch ganz gut von den wettbewerbsrechtlichen Verfahren leben, spülen diese in Zeiten knapper Kassen bei den doch relativ hohen Regelstreitwerten in wettbewerbsrechtlichen Verfahren Gerichtskosten in die Staatskasse.

Ein Gericht, das regelmäßig als Berufungsinstanz bei wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten, die den Internethandel betreffen, angerufen wird, ist das OLG Hamm. Das OLG Hamm zeichnet sich nicht nur durch Entscheidungen aus, die von einer tieferen Kenntnis der Praxis des Internethandels zeugen. Das OLG Hamm ist auch relativ schnell dabei, einen Rechtsmissbrauch gemäß § 8 Abs. 4 UWG anzunehmen.

Wann liegt Rechtsmissbrauch vor? – Eine Übersicht des OLG Hamm

In einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 29.06.2010, Az.: I-4 U 24/10) hat das OLG Hamm (wieder einmal) einem Antragsteller in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren Rechtsmissbrauch vorgehalten. Das Urteil ist insofern lesenswert, als dass das OLG auch allgemeine Ausführungen zu der Frage macht, wann ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG vorliegt.

1. Abmahnungen von Verstößen von eher unterdurchschnittlichem Gewicht

Das OLG nimmt zunächst einmal an – alles andere würde der ständigen Rechtsprechung widersprechen – dass ein Mitwettbewerber ein berechtigtes Interesse an einer Rechtsverfolgung haben kann, auch dann, wenn Informationspflichten im Rahmen der Widerrufsbelehrung verletzt werden, Garantiebedingungen nicht mitgeteilt werden und in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässige Regeln zum Vertragsschluss enthalten sind. Quasi zum Warmlaufen macht das OLG jedoch darauf aufmerksam, dass aus Sicht der Mitbewerber es sich bei dieser Art von Verstößen eher um Verstöße von eher unterdurchschnittlichem Gewicht handelt, die den Abmahner in der Praxis nicht besonders beeinträchtigen.

2. Anzahl der Abmahnungen

Hauptindiz eines Rechtsmissbrauches ist der Umstand, dass es ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Abmahnungen und dem Umfang des Geschäftsbetriebes gibt, ebenso wie die Art und Weise der Rechtsverfolgung. “Kommen solche Umstände bei einem Mitberwerber mit vielfachen Abmahnungen zusammen, liegt ein Missbrauch der an sich bestehenden Klagbefugnis im Bereich des Internethandels, wo es bekanntermaßen gerade im Bereich der Informationspflichten zu einer kaum überschaubaren Vielzahl von Wettbewerbsverstößen kommt, besonders nahe.”, so dass OLG Hamm.

3. Abmahnungen von sicheren Wettbewerbsverstößen

Häufige Rechtsfehler im Internethandel, wie eine falsche Widerrufsbelehrung, die Werbung mit Garantiebedingungen oder klassische falsche AGB-Klauseln, sind für einen Abmahner eine “sichere Bank”, so das OLG Hamm wörtlich. Hiermit verbunden ist die Gefahr, dass sich das wettbewerbsrechtliche Interesse verselbständigt. Letztlich spricht § 8 Abs. 4 UWG auch immer von der Berücksichtigung der gesamten Umstände. Folge ist für das OLG  Hamm, dass schon bei einer einzigen Abmahnung auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden kann, wenn ganz besonders gewichtige Umstände vorliegen, die auf sachfremde Motive schließen lassen.

4. Art der Rechtsverfolgung

Ein weiteres Indiz für Rechtsmissbrauch ist die Absicht, mit Abmahnungen in erster Linie Kosten und Vertragsstrafen zu generieren.

Diese Ansicht des OLG Hamm ist nicht ganz unproblematisch. Die Wiederholungsgefahr wird nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeschlossen. Wenn der Abgemahnte sich später an die abgegebene Unterlassungserklärung nicht hält und eine Vertragsstrafe geltend gemacht wird, ist dies durchaus das Wesen des Wettbewerbsrechtes, d. h., wenn der Abgemahnte später aus Unachtsamkeit gegen die Unterlassungserklärung verstößt und eine Vertragsstrafe gefordert wird, ist dies in erster Linie ein Problem des Abgemahnten und liegt quasi nicht im Verantwortungsbereich des Abmahners. Unabhängig davon sind uns aus unserer Beratungspraxis durchaus Abmahner und ihre Rechtsanwälte bekannt, die es auf die Verwirkung einer Vertragsstrafe anlegen. Auch diese Medaille hat jedoch zwei Seiten, da der Abgemahnte es in der Regel durchaus vermeiden kann, gegen eine abgegebene Unterlassungserklärung zu verstoßen.

5. Vertragsstrafe 5.100,00 Euro als Indiz für Rechtsmissbrauch?

Nur eine angemessene Vertragsstrafe ist geeignet, die Wiederholungsgefahr auszuschließen. Wer bspw. eine Vertragsstrafe von 100,00 Euro für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverpflichtung einräumt, macht hierdurch deutlich, dass er die Unterlassungserklärung – im Rechtssinne – nicht ernst meint. Es muss schon im übertragenden Sinne “wehtun”.

Jedenfalls nimmt das OLG Hamm an, dass eine Vertragsstrafe von 5.100,00 Euro an sich schon sehr hoch sei. Dieser Ansicht können wir uns nicht anschließen, da es sich um einen durchaus üblichen Betrag bei einer fest formulierten Vertragsstrafe handelt. Zudem gibt es ja noch andere Möglichkeiten, eine Vertragsstrafe zu formulieren, wie bspw. den sogenannten Hamburger Brauch.

6. Rechtsmissbrauch, wenn Vertragsstrafe auch bei fehlendem Verschulden verwirkt sein soll

Diese Formulierung, die der abmahnende Rechtsanwalt in der der Abmahnung beigefügten Unterlassungserklärung mit aufgenommen hatte, ist tatsächlich ungewöhnlich.  Hinzukommt noch, dass die Regelung zum Ausschluss des Verschuldens bei der Zuwiderhandlung so in die Unterwerfungserklärung eingefügt war, dass sie ohne Weiteres überlesen werden konnte. Der Folgesatz in diesem Zusammenhang kann eigentlich nur als Beratungsverschulden des Rechtsanwaltes gedeutet werden, der die in diesem Fall Abgemahnten beraten hat: “Anders ist nicht zu verstehen, dass wiederholt auch anwaltlich vertretene Abgemahnte unterlassen haben, den betreffenden Passus zu streichen.” In einem Parallelrechtsstreit, auch dies wird in der Entscheidung durch das OLG eingeräumt, hatte sogar der Senat des OLG die Formulierung übersehen, dies wollte das OLG an dieser Stelle ganz offensichtlich nachholen. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht: “Einer solchen für den Abgemahnten überraschenden Abbedingung des Verschuldenserfordernisses bedarf es zur Sicherung der Gläubigerinteressen nicht, was sich auch daraus ersehen lässt, dass dem Senat, der schon sehr viele Abmahnungen zu Gesicht bekommen hat, eine solche Ausgestaltung in einer vorgefertigten Unterlassungserklärung noch nicht begegnet ist, wenn man von Abmahnungen anderer Mandanten von Rechtsanwalt H. einmal absieht.”

7. Fehlende Möglichkeit, sich nach Abgabe der Unterlassungserklärung wettbewerbskonform zu verhalten, als Argument für Rechtsmissbrauch?

Die dann folgenden Argumente des OLG´s gehen nach unserer Auffassung an den grundsätzlichen Regelungen des Wettbewerbsrechts vorbei. Der Senat tritt kleineren und unerfahrenen Internetanbietern (so wörtlich im Urteil) bei, indem er darauf hinweist, dass bei der Änderung rechtlicher Informationen auf Grund technischer Unfähigkeit dieser kleinen Anbieter oftmals eine Kontaktaufnahme mit Dritten erforderlich sei. “Sehr häufig wird gerade wegen der drohenden gerichtlichen Inanspruchnahme die Unterlassungserklärung schon abgegeben, bevor alle fehlerhaften Angaben aus dem Internetauftritt entfernt sind. (…) Werden die Internetauftritte der Abgemahnten nach der Abgabe der Unterlassungserklärung alsbald kontrolliert und ist dem Schuldner der Pflicht zur Unterlassung der Einwand abgeschnitten, den Verstoß so kurzfristig nicht abstellen zu können, kann er vielfach der Verwirkung einer Vertragsstrafe nur schwer entgehen.”

Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass vielen Abgemahnten nicht klar ist, dass in der Regel die Unterlassungserklärung zu dem Zeitpunkt – mit allen Folgen einer Vertragsstrafe – wirksam wird, wenn diese an den Gegner übersandt worden ist, sei es per Fax oder per Post. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass eine Unterlassungserklärung nur dann abgegeben werden sollte, wenn gewährleistet ist, dass ein Verstoß zumindest nicht sehenden Auges in Kauf genommen wird. Sollte es tatsächlich Fristprobleme geben, gibt es zudem die Möglichkeit, eine sogenannte Aufbrauchfrist zu vereinbaren, d. h. eine Unterlassungserklärung wird zwar fristgerecht abgegeben, gilt jedoch erst ab einem  bestimmten Zeitraum. Dies ist letztlich ein Punkt einer fundierten anwaltlichen Beratung eines Abgemahnten und bspw. für uns selbstverständlich.

8. Sehr weitreichende Formulierung der Unterlassungserklärung

Ebenfalls aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass den Abmahnungen oftmals Unterlassungserklärungen beigefügt sind, die sehr weitreichend sind. Auch das OLG Hamm thematisiert diesen Punkt, indem es kritisiert, dass die beigefügte Unterlassungserklärung unter Wiederholung des Gesetzestextes so weit formuliert sei, dass unter die Unterlassungsverpflichtung auch gänzlich andere Verstöße als der abgemahnte fallen können.

Dieser Umstand ist ein klassischer Aspekt bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen. Zunächst einmal ist es so, dass es rechtlich gesehen gar keine Verpflichtung gibt, dass der Abgemahnte (eine Abmahnung ist nichts anderes als die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens) der Abmahnung eine vorformulierte Unterlassungserklärung beifügt. Dass diese Unterlassungserklärung natürlich im Sinne des Abmahners vorformuliert ist, versteht sich an dieser Stelle fast von selbst. Wer eine derartige Unterlassungserklärung ohne anwaltliche Beratung unterschreibt, hat nach unserer Auffassung – hart aber ehrlich – selbst Schuld. Es besteht rechtlich gesehen überhaupt kein Grund, die vom Abmahner beigefügte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Diese kann – durch fachkundige anwaltliche Beratung – entsprechend modifiziert werden und erfüllt dann dennoch ihren Zweck. Aus unserer langjährigen Beratungspraxis schätzen wir, dass in ca. 95 % aller Fälle, in denen wir Abgemahnte beraten haben, die wie auch immer geartete Modifizierung einer Unterlassungserklärung notwendig und sinnvoll war. Diese haben unsere Mandanten dann im Rahmen der Beratung selbstverständlich auch erhalten.

9. Unterlassungserklärung und Kosten werden am gleichen Tag gefordert

Die Frist zur Abgabe der Unterlassungserklärung ist eine Sache, eine gesetzte Frist zur Erstattung der Abmahnkosten ist eine andere. Aufgestoßen war dem Senat, dass Unterwerfung und Kostenerstattung nach dem Eindruck der Abmahnung zusammengehörten, weil bei beiden die Frage der Fristverlängerung verquickt worden sei, ohne dass dies erforderlich wäre. Wenn sich bei der Abgabe der Unterlassungserklärung im Regelfall wegen der Dringlichkeit eine Fristverlängerung verbietet, kann dies für die Frist für die Erstattung der Kosten nicht gelten.

10. Hervorgehobener Hinweis auf die Kostenerstattung

Wir wissen nicht, wie die vom Senat beanstandete Abmahnung und Unterlassungserklärung aussah. Es muss sich jedoch ganz offensichtlich um ein rhetorisches und gestalterisches Meisterwerk gehandelt haben. “Es ist bemerkenswert, dass im Rahmen der vorformulierten Unterlassungserklärung in großer Schrift und unterstrichen die Fälligkeit der an den Anwalt zu zahlenden Gebühren hervorgehoben wird. Für den Schuldner muss dies den Eindruck erwecken, dass er die Gefahr gerichtlicher Inanspruchnahme nur dadurch verhindern kann, dass er neben der Unterlassungserklärung auch die Abmahnkosten umgehend erstattet. Ungewöhnlich ist in diesem Zusammenhang auch die vorgeschlagene Gerichtsstandsvereinbarung, weil diese zur Wahrung des lauteren Wettbewerbs auch nicht erforderlich ist.”

11. Abmahner kann sich bei Vortrag zu Indizien eines Rechtsmissbrauches nicht entlasten

Rechtlich gesehen ist es zunächst einmal Sache des Abgemahnten, Indizien für einen Rechtsmissbrauch vorzutragen. Folge ist dann, wenn das Gericht hiervon überzeugt sein sollte, eine sogenannte Beweislastumkehr. Dies hat zur Folge, dass es dann Sache des Abgemahnten ist, zu beweisen, dass eine Abmahnung gerade nicht rechtsmissbräuchlich ist. Dies ist dem Abmahner vorliegend offensichtlich nicht gelungen und war wohl auf Grund der schon fast voreingenommenen Haltung des OLG Hamm auch kaum möglich. Heißt es doch in der Entscheidung: “Daran fehlt es. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht hinreichend dazu vorgetragen, wieso Abmahnungen mit solchen Haftungsfallen erforderlich sein sollen, den lauteren Wettbewerb zu fördern.”

Fazit

Selten hat ein Gericht in einer derartigen Ausführlichkeit einen Rechtsmissbrauch in allen einzelnen Aspekten begründet. Das Interessante an der Entscheidung des OLG Hamm ist, dass es nicht der Klassiker von “viele Abmahnungen bei wenig Umsatz” ist sondern durchaus auch Aspekte herausgearbeitet werden, die für einen Rechtsmissbrauch nicht sofort auf der Hand liegen. Folge kann durchaus sein, dass die Karawane weiterzieht. Auf Grund des fliegenden Gerichtsstandes bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen bei Internetverstößen besteht quasi eine freie Gerichtswahl des Abmahners. Wer ein Rechtsmissbrauch befürchten muss, wird ggf. einen anderen Gerichtsbezirk wählen, in denen die Frage des Rechtsmissbrauches nicht so streng gesehen wird.

Stand: 08/2010

Ihre Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke, Rostock

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