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Der Begriff des “Ladengeschäfts” im Sinne von § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB setzt nicht
zwingend die Anwesenheit von Personal voraus, wenn technische Sicherungsmaßnahmen
einen gleichwertigen Jugendschutz wie die Überwachung durch Ladenpersonal
gewährleisten.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2003, Az. 1 StR 70/03 (LG Stuttgart) – amtlicher Leitsatz
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 70/03
vom
22. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Verbreitung pornographischer Schriften u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
20. Mai 2003 in der Sitzung vom 22. Mai 2003, an denen teilgenommen haben:
….
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Stuttgart vom 24. September 2002 werden verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der
Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf der Verbreitung
pornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 3a und Nr. 5 StGB – wegen
Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 Satz 2 StGB) – und von
dem weiteren Vorwurf des unerlaubten Betreibens einer Automatenvideothek
gemäß § 12 Abs. 4 Nr. 2 JÖSchG i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 9 JÖSchG und § 7
Abs. 4 JÖSchG – wegen fehlender Tatbestandsmäßigkeit – freigesprochen. Die
dagegen gerichteten, auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft
haben keinen Erfolg.
I.
Die Angeklagten W. und B. eröffneten am 15. Februar 2001 in
S. eine sogenannte Automatenvideothek. Dabei wurden sie von der Firma
C. , die die erforderlichen Automatensysteme vertreibt und bundesweit
bereits rund 70 Automatenvideotheken ausgerüstet hatte, beraten und
unterstützt. Etwa 30 % der an den Automaten erhältlichen Filme hatten pornographische
Inhalte im Sinne der sogenannten “weichen Pornographie”. Ab November
2001 beteiligte sich der Mitangeklagte T. an dem Unternehmen, der
im wesentlichen die Rolle eines “stillen Gesellschafters” einnahm.
Das Geschäftslokal bestand aus einem größeren Raum mit Zugang von
der Straße. Darin befand sich an der Wand gegenüber der Eingangstür der
Ausgabeautomat mit einem tastaturgesteuerten Bildschirm von rund 25 x 25 cm
Größe. An diesem Bildschirm konnten Informationen über das Filmangebot
einschließlich der Werbebilder auf den Umschlaghüllen der Videokassetten
eingesehen werden. Diese Werbebilder hatten, soweit es sich um pornographische
Filme handelte, auch pornographische Inhalte. Um die Anmietung (nachfolgend
entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch im Hinblick auf eine
bessere Verständlichkeit als “Ausleihe” bzw. “Verleih” bezeichnet) von Videofilmen
durch Minderjährige zu verhindern, hatten die Angeklagten entsprechend
dem System der Firma C. folgende Vorkehrungen getroffen:
Zur Nutzung der als Club betriebenen Videothek war ein schriftlicher
Aufnahmeantrag auszufüllen. Der Kunde verpflichtete sich darin, die ihm erteilte
Chipkarte und das ausgeliehene Material Minderjährigen nicht zugänglich
zu machen. Für den Fall der Zuwiderhandlung war die Kündigung der Mitglied-
schaft angedroht. Anhand des Antrages und des vorzulegenden Personalausweises
wurde die Volljährigkeit des Kunden geprüft. Danach erhielt er Chipkarte
und PIN. Außerdem wurde sein Daumenabdruck biometrisch erfaßt und
in den Verleihautomaten gespeichert. Mit der Chipkarte war die Tür zum Automatenraum
zu öffnen. Die Besichtigung des Filmangebotes und die Ausleihe
von Filmen am Automaten erfolgte nach einem Abgleich von Chipkarte, PIN
und Daumenabdruck. Der Automatenraum war videoüberwacht. Die gefertigten
Aufnahmen wurden von den Angeklagten regelmäßig am folgenden Tag überprüft,
um festzustellen, ob sich unberechtigte, insbesondere minderjährige Personen
im Automatenraum aufgehalten hatten. Irgendwelche Auffälligkeiten
wurden hierbei nicht bemerkt.
Die Firma C. war durch Rechtsanwälte beraten, die sich auf die
im Zusammenhang mit dem Betrieb von Automatenvideotheken relevanten
Rechtsfragen spezialisiert hatten. Auf dieser Grundlage hatten die Angeklagten
vor Inbetriebnahme der Automatenvideothek von der C. die Auskunft
erhalten, daß deren Betrieb in der beschriebenen Form in Deutschland rechtlich
zulässig sei. Am 28. Juni 2001 erschienen die Zeugen R. vom Amt für
öffentliche Ordnung der Stadt S. und Se. von der Landespolizeidirektion
S. im Geschäftslokal der Angeklagten und erklärten ihnen, daß
der Betrieb der Automatenvideothek rechtswidrig und strafbar sei. Hiervon unterrichteten
die Angeklagten W. und B. die Firma C. , die ihnen
mitteilte, daß die Rechtslage noch nicht endgültig geklärt sei, es jedoch Urteile
gäbe, nach denen das Betreiben einer Automatenvideothek in der vorliegenden
Form rechtlich zulässig sei. Außerdem veranlaßte die Firma C. , daß sich
Rechtsanwalt E. , der jetzige Verteidiger W. s, mit den Angeklagten
W. und B. in Verbindung setzte. Er erklärte ihnen, daß nach seiner
Ansicht das Betreiben einer Videothek rechtlich zulässig sei, riet aber, Sichtblenden
anzubringen, worauf sie Türen und Fenster so beklebten, daß der Geschäftsraum
von außen nicht mehr einsehbar war. Seitens des Rechtsamtes
der Stadt S. wurde in der Folgezeit nichts gegen den Betrieb der Videothek
unternommen, weil der Ausgang eines beim Verwaltungsgerichtshof Baden-
Württemberg anhängigen Berufungsverfahrens abgewartet werden sollte.
In diesem Verfahren hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe durch Urteil vom
31. Oktober 2001 in erster Instanz den Betrieb einer gleichartigen Automatenvideothek
für rechtlich zulässig erklärt (VG Karlsruhe GewArch 2002, 120).
Entsprechend hatten das Verwaltungsgericht Karlsruhe und der Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg bereits im vorangegangenen Eilverfahren entscheiden
(VG Karlsruhe GewArch 2001, 476; VGH BaWü GewArch 2001, 479).
Die Freisprüche halten im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Angeklagten haben sich nicht wegen Verbreitung pornographischer
Schriften nach § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB (Verbot gewerblicher Vermietung,
ausgenommen in Ladengeschäften) strafbar gemacht, denn die Automatenvideothek
erfüllt – so wie sie hier nach Anbringung der Sichtblenden betrieben
wurde – den Ausnahmetatbestand des (besonderen) Ladengeschäfts im
Sinne dieser Vorschrift.
a) Ziel der mit dem Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der
Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 in § 184 Abs. 1 StGB eingefügten Bestimmung
Nr. 3a war es, Minderjährige effektiv gegen die sich aus der – damals
neuen – Vertriebsform der Vermietung von Videokassetten ergebenden sittlichen
Gefahren abzuschirmen (BTDrucks. 10/2546 S. 16 ff.; siehe auch BGH
NJW 1988, 272; OLG Hamm NStZ 1988, 415; HansOLG Hamburg NJW 1992,
1184). Das ursprünglich vorgesehene vollständige Vermietungsverbot hat der
Gesetzgeber jedoch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken eingeschränkt.
Die Ausnahmeregelung für Ladengeschäfte war daher ein Kompromiß, der einerseits
Minderjährigen den Zugang zu solchen Schriften in der Öffentlichkeit
verschließt, Erwachsenen aber gewisse Zugangswege zu weicher Pornographie
offenhält. Das Vermieten pornographischer Schriften, zu denen auch Videokassetten
gehören (§ 11 Abs. 3 StGB), wurde aus diesem Grund auf Geschäfte
konzentriert, die auf den Vertrieb solcher Schriften spezialisiert sind.
Maßgebliches gesetzgeberisches Kriterium für das Merkmal “Ladengeschäft”
in § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB war danach, daß in solchen – speziellen –
Geschäften der Kontakt von Minderjährigen mit pornographischen Videokassetten
effektiv unterbunden wird. Dazu muß das Geschäft zum einen bestimmte
räumliche Anforderungen erfüllen, insbesondere einen separaten Zugang haben.
Den effektiven Schutz sah der damalige Gesetzgeber zum anderen durch
eine personale Komponente gesichert: “Nach den vorliegenden Erfahrungen ist
das dortige Personal, ohne daß Schwierigkeiten bekanntgeworden wären, in
der Lage, Minderjährigen den Zugang zu solchen Ladengeschäften zu verwehren,
so daß der Kontakt von Minderjährigen mit dem Massengeschäft mit pornographischen
Videokassetten, namentlich der Vermietung, unterbunden wird”
(BTDrucks. 10/2546 S. 25).
b) Die räumlichen Voraussetzungen eines derartigen Ladengeschäfts
sind hier gegeben, denn die Automatenvideothek verfügte über einen separaten
Zugang von der Straße (vgl. dazu Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 Rdn. 31).
c) Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, daß der Zutritt und
der Mietvorgang nicht unmittelbar durch Personal überwacht wurde. Der Senat
ist indes der Ansicht, daß hier ein im Hinblick auf die Effektivität gleichwertiger,
im wesentlichen technischer, aber auch personaler Schutz gegeben war (ähnlich
VG Karlsruhe GewArch 2002, 120 und die Entscheidungen im Eilverfahren
VG Karlsruhe GewArch 2001, 476; VGH BaWü GewArch 2001, 479; OVG
NRW GewArch 2002, 303). Einen Kontakt Minderjähriger mit pornographischen
Videokassetten hat das Landgericht ebensowenig festgestellt wie eine Gefahr
für einen solchen Kontakt, die größer gewesen wäre als bei herkömmlichen
“Bedienvideotheken”. Unter dieser Voraussetzung – allerdings nur unter dieser
Voraussetzung -, daß der Schutz gleich effektiv ist, handelt es sich bei einer
Automatenvideothek um ein Ladengeschäft.
aa) Was unter dem Begriff “Ladengeschäft” im Sinne des § 184 Abs. 1
Nr. 3a StGB zu verstehen ist, wird aus dem Gesetzeswortlaut allein nicht klar
(BGH NJW 1988, 272). Dem Wort “Ladengeschäft” läßt sich nicht zwingend
entnehmen, daß damit nur solche Geschäfte gemeint sind, bei denen Personal
im Laden und insbesondere beim Kontakt mit dem Kunden ständig anwesend
sein muß. Ein solches Erfordernis, das insbesondere die ältere Rechtsprechung
aufgestellt hatte (vgl. nur LG Hamburg NStZ 1989, 181; LG Stuttgart
MDR 1986, 424; LG Verden NStZ 1986, 118), ließe sich nur aus den ursprünglichen
– die damaligen Vertriebspraktiken im Blick behaltenden – Vorstellungen
des Gesetzgebers und der Ratio des Ausnahmetatbestandes ableiten. Da
technische Sicherungen der hier vorliegenden Art erst in neuerer Zeit verfügbar
sind, lag dieses Verständnis des Merkmals “Ladengeschäft” für die herkömmlichen
Vertriebspraktiken nahe.
bb) Auch in neueren Entscheidungen wird, insbesondere vom Bayerischen
Obersten Landesgericht (Urteil vom 28. November 2002 – 4 St RR
95/2002), weiterhin die Ansicht vertreten, daß der Begriff des Ladengeschäfts
stets die Anwesenheit von Personal voraussetze; dieses Erfordernis könne
nicht durch technische Vorkehrungen ersetzt werden. Ähnlich hat der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 28. Januar 2003 – 24 B 02.322) bei
der Auslegung des § 7 Abs. 4 JÖSchG entschieden; er hält eine Zugangskontrolle
durch Personen für unerläßlich. Beide Entscheidungen stützen diese Ansicht
unter anderem auch darauf, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des
am 1. April 2003 in Kraft getretenen Jugendschutzgesetzes – JuSchG – (BGBl I
2002 S. 2730) in anderen Bestimmungen technische Sicherungen gestattet
habe, ohne aber in § 184 StGB (und insbesondere der vergleichbaren Bestimmung
des § 15 Abs. 1 Nr. 4 JuSchG) den Begriff des Ladengeschäfts entsprechend
zu modifizieren. Den daraus gezogenen Schluß – der Gesetzgeber des
JuSchG habe unter dem Begriff des Ladengeschäfts weiterhin nur Geschäftsräume
mit Personal zu Aufsichts- und Überwachungszwecken verstanden – hält
der Senat nicht für zutreffend.
Zunächst läßt sich den Gesetzesmaterialien zum JuSchG nichts dafür
entnehmen, daß der Gesetzgeber für ein Ladengeschäft die Anwesenheit von
Personal vorausgesetzt hat. Insbesondere kann aus dem Umstand, daß jugendgefährdende
Bildträger im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 5 JuSchG an den in
§ 12 Abs. 4 JuSchG geregelten Örtlichkeiten auch künftig nicht mittels Auto-
maten angeboten werden dürfen (BTDrucks. 14/9013 S. 21), nicht abgeleitet
werden, dies sei ausschließlich in Ladengeschäften mit Personal zulässig. Die
spezifische Regelung des § 12 Abs. 4 JuSchG betrifft nämlich gerade keine
Ladengeschäfte im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB. Sie erfaßt vielmehr
allein den Betrieb von Videoautomaten in Jugendlichen frei zugänglichen Bereichen.
Daß dort Bildträger ohne Jugendfreigabe nicht an Automaten angeboten
werden dürfen, liegt nahe. Deshalb sind die Ausführungen des Gesetzgebers
in diesem strikten Regelungszusammenhang zu sehen. Sie sind nicht
übertragbar auf einen anderen, in § 12 Abs. 4 JuSchG nicht geregelten örtlichen
Bereich, hier das Ladengeschäft. Die Schlußfolgerung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs (aaO) – wenn schon Sicherungsvorkehrungen für jugendfreie
Filme in § 12 Abs. 4 JuSchG notwendig seien, dann sei eine nicht
von Personen kontrollierte Abgabe von jugendgefährdenden Medien erst recht
verboten – geht daher von einem unzutreffenden Ansatz aus. Das zeigt schon
folgende Überlegung: Bestünde abgesehen von den durch § 12 Abs. 4 JuSchG
erfaßten Fällen das generelle Verbot des öffentlichen Anbietens von Videos
mittels Automaten fort, so wäre selbst ein Automatenbetrieb in einem durch
Personal überwachten Ladengeschäft strafbar, weil diese Vertriebsform in § 12
Abs. 4 JuSchG gerade nicht geregelt ist. Von dem Verbot würde zudem das
Angebot jugendfreier Bildträger innerhalb von gewerblich genutzten Räumen
erfaßt. Um diesen Wertungswiderspruch auflösen zu können, geht der Bayerische
Verwaltungsgerichthof über den Gesetzeswortlaut des § 12 Abs. 4
JuSchG hinaus davon aus, daß ein Automatenangebot unter Aufsicht zulässig
sei (BayVGH aaO). Zu dieser personellen Komponente läßt sich den Gesetzesmaterialien
zu § 12 Abs. 4 JuSchG jedoch nichts entnehmen. Soweit der
Gesetzgeber in § 15 Abs. 1 Nr. 4 JuSchG an den Begriff des Ladengeschäfts
anknüpft, hat er offenbar die entsprechende frühere Regelung des § 3 Abs. 1
Nr. 3 GjSM übernommen. Das schließt nicht aus, den Begriff des Ladenschäfts
im Hinblick auf inzwischen technisch mögliche und von Personaleinsatz unabhängige
Sicherungsmaßnahmen anders auszulegen als bisher.
cc) Bei einem im Hinblick auf die Effektivität der Überwachung durch
Personal gleichwertigen technischen und personalen Schutz vor Jugendgefährdungen
ist auch die Automatenvideothek ein Ladengeschäft im Sinne des
§ 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zu § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB – es ging
um das Ausstrahlen pornographischer Filme – entschieden, daß ein Zugänglichmachen
nicht vorliege, wenn “Vorkehrungen getroffen werden, die den visuellen
Zugang Minderjähriger zu dem Inhalt der Filme regelmäßig verhindern”
(BVerwGE 116, 5, 14 ff.). Dazu sei erforderlich, daß zwischen der pornographischen
Darstellung und dem Minderjährigen eine “effektive Barriere” bestehe,
die er überwinden müsse, um die Darstellung wahrnehmen zu können. Ein Zugänglichmachen
könne ausscheiden, wenn im System angelegte effektive Sicherungsmaßnahmen
zur Anwendung kämen. Entsprechendes muß für den
Ausnahmetatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB gelten. Auch hier ist zwischenzeitlich
eine technische Entwicklung eingetreten, die der Gesetzgeber bei
Einfügung dieser Vorschrift noch nicht berücksichtigen konnte. Der nach wie
vor unveränderte Schutzzweck der Norm, daß in solchen – speziellen – Geschäften
der Kontakt von Minderjährigen mit pornographischen Videokassetten
effektiv unterbunden wird, kann heute auch durch (überwiegend) technische
Vorkehrungen gewährleistet werden. Daß technische Vorkehrungen grundsätzlich
ein geeignetes Mittel hierzu sein können, hat der Gesetzgeber gerade
auch in dem hier betroffenen Bereich anerkannt, wie die Bestimmungen des § 12 Abs. 4 JuSchG und die Regelungen für die – wohl bedeutsamste – Vertriebsform
durch elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (vgl.
§ 3 Abs. 2 GjSM; jetzt § 16 JuSchG) zeigen (vgl. auch BTDrucks. 15/88 S. 12).
Diese geänderte Wertung des Gesetzgebers ist auch bei der gebotenen, am
Gesetzeszweck orientierten Auslegung des Begriffs “Ladengeschäft” in § 184
Abs. 1 Nr. 3a StGB zu beachten (OVG NRW aaO).
dd) Wenn dieses Ziel des Jugendschutzes auch auf andere Weise
gleich effektiv wie durch Personal erreicht werden kann, ist dem Normzweck
hinreichend Rechnung getragen. Gleichwertigkeit setzt allerdings folgendes
voraus: Zunächst hat eine zuverlässige Alterskontrolle durch das Personal der
Videothek stattzufinden. Hinzu kommen müssen im System angelegte Vorkehrungen,
die Minderjährigen die Anmietung pornographischer Filme im Sinne
einer effektiven Barriere regelmäßig unmöglich machen (BVerwGE 116, 5, 14
ff.). Es muß also gewährleistet sein, daß die technischen Kennungen zur
Überwindung der Zugangshindernisse nur an Erwachsene ausgegeben werden.
ee) Diesen Anforderungen genügte die von den Angeklagten betriebene
Automatenvideothek.
Eine zuverlässige Alterskontrolle war hier gewährleistet, da Chipkarte
und PIN erst nach persönlichem Kontakt mit dem Kunden und Überprüfung
seines Alters ausgegeben wurden (vgl. BVerwGE 116, 5, 15). Diese Kontrolle
enthält auch eine personale Komponente, die hier sogar zuverlässiger war als
die Alterskontrolle bei einer herkömmlichen Bedienvideothek.
Eine “effektive Barriere” für den Zugriff auf den Automaten bestand zudem
und vor allem durch die Erfassung und Abfrage der biometrischen Daten
des Kunden. So war sichergestellt, daß nur Erwachsene die Anmietung am
Automaten vornahmen. Bei dieser Sachlage war die Anmietung durch Minderjährige
regelmäßig zu verhindern. Technische Mängel des Systems, die Mißbrauchsmöglichkeiten
eröffnen könnten – und zum Wegfall der Voraussetzungen
des Ausnahmetatbestandes führen würden – sind hier ebensowenig festgestellt
wie Mißbrauchsfälle.
ff) Der Senat verkennt nicht, daß auch bei dieser Vertriebsform, trotz der
technischen Vorkehrungen, Mißbräuche nur “regelmäßig” zu verhindern waren.
Mißbrauchsmöglichkeiten waren unter den hier gegebenen Umständen aber
nicht in größerem Maße eröffnet als bei einer herkömmlichen, mit Personal
ausgestatteten Videothek.
Die Gefahr, daß ein erwachsener Kunde jugendgefährdendes Filmmaterial
an Minderjährige weitergibt, besteht in beiden Fällen gleichermaßen. Ein
solches Verhalten ist nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar. Die Möglichkeit,
daß ein Minderjähriger einen zugangsberechtigten Erwachsenen in die Automatenvideothek
begleitet und sich dort mit dessen Hilfe indiziertes Material am
Bildschirm aussucht, sieht der Senat durchaus. Sie ist indes dadurch eingegrenzt,
daß bei der hier praktizierten Videoüberwachung des Automatenraumes
solch ein – grundsätzlich strafbares – Verhalten dokumentiert wird und
auch die Kündigung des Vertragsverhältnisses nach sich ziehen kann. Richtig
ist auch, daß anwesendes Personal einen solchen Mißbrauch sofort verhindern
könnte, wogegen im Falle einer Automatenvideothek nur eine nachträgliche –
strafrechtliche und vertragsrechtliche – Sanktion nach Auswertung der Überwa-
chungsaufzeichnungen möglich ist. Der Senat hat schließlich auch bedacht,
daß die Hemmschwelle für einen Mißbrauch bei Überwachungspersonal größer
sein dürfte als bei der Überwindung von technischen Hindernissen.
Dieser Nachteil einer Automatenvideothek wird jedoch durch Vorteile,
die ein technisches Sicherungssystem gegenüber einer Kontrolle allein durch
Personal bietet, aufgewogen. Die technische Identifizierung des Kunden anhand
gespeicherter biometrischer Daten bietet eine zuverlässigere Alterskontrolle
als durch Ladenpersonal, das menschlichen Unzulänglichkeiten z.B. infolge
von Wahrnehmungsfehlern, Täuschung, Unaufmerksamkeit, Ablenkung
und dergleichen unterliegt. Der Jugendschutz wird dort im übrigen erst durch
Eingreifen des Personals und damit regelmäßig nach Betreten der Videothek
durch den Minderjährigen verwirklicht. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der
Jugendliche – zumindest kurzfristig – regelmäßig innerhalb des Geschäftslokals,
was ihm die kurzfristige Wahrnehmung von indiziertem Material ermöglicht.
Hier hingegen war bereits das Betreten des Geschäftsraums überhaupt
erst unter mißbräuchlicher Mitwirkung eines Erwachsenen möglich.
gg) Nach allem gewährleisteten die hier getroffenen und umgesetzten
technischen Vorkehrungen eine Jugendschutzkontrolle, die – insgesamt betrachtet
– in ihrer Effektivität nicht hinter einer Kontrolle mittels Personal zurückblieb.
Der Senat weist jedoch darauf hin, daß die Beurteilung in den Fällen
anders ausfallen muß, bei denen die technischen Vorkehrungen und die praktische
Handhabung den hier geforderten Standards nicht entsprechen. Unberührt
bleibt im übrigen das Verbot sogenannter “harter Pornographie” im Sinne
von § 184 Abs. 2 StGB.
d) Nach den Feststellungen war der Automatenraum Minderjährigen
auch – was zusätzlich erforderlich ist – unzugänglich, weil dieser nur mittels der
ausschließlich an Erwachsene ausgegebenen Chipkarte betreten werden
konnte. Die Chipkarte bildete ein ausreichendes tatsächliches und rechtliches
Hindernis für Jugendliche, zu dessen Überwindung erst die mißbräuchliche und
grundsätzlich strafbare Mitwirkung eines Erwachsenen erforderlich war (vgl.
dazu BVerwGE 116, 5, 14; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB
26. Aufl. § 184 Rdn. 11). Gegen einen Mißbrauch der Chipkarte hatten die Angeklagten
zudem Vorkehrungen durch Videoüberwachung des Automatenraumes
getroffen.
e) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Automatenraum
jedenfalls nach Anbringen der Sichtblenden auch nicht mehr einsehbar. Ein
nach § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB strafbares Verhalten des Angeklagten T.
scheidet damit aus, da sich dieser erst nach diesem Zeitpunkt an dem Geschäftsbetrieb
der Mitangeklagten beteiligt hatte.
2. Ob dem Landgericht darin zu folgen ist, daß der Automatenraum wegen
der tatsächlichen Gegebenheiten auch vorher im Rechtssinne des § 184
Abs. 1 Nr. 3a StGB nicht einsehbar war, kann der Senat offenlassen. Selbst
wenn man von einer Einsehbarkeit bis dahin und damit einem tatbestandsmäßigen
Verhalten ausgeht, unterlagen die Angeklagten W. und B. insoweit
jedenfalls einem unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz 2 StGB).
Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines Irrtums rechtsfehlerfrei
festgestellt. Soweit es ausführt, die Angeklagten seien “nunmehr”, nach Anbringen
der Sichtblenden, davon ausgegangen, alles getan zu haben, um die
Videothek weiterbetreiben zu können, entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang
der Urteilsgründe nicht, daß sie vor diesem Zeitpunkt über ein
entsprechendes auch nur latent vorhandenes Unrechtsbewußtsein verfügt
hätten. Das Landgericht teilt nämlich an anderer Stelle der Urteilsgründe mit,
die “jungen und geschäftsunerfahrenen” Angeklagten seien vor Aufnahme des
Geschäftsbetriebs durch die Firma C. rechtskundig beraten worden und
hätten auf die Richtigkeit dieser Auskünfte, wonach der Betrieb der Automatenvideothek
rechtlich zulässig sei, vertraut.
Der Irrtum war für die Angeklagten nicht vermeidbar. Für juristische Laien
lag es nicht nahe, daß die Anbringung von Sichtblenden an dem Automatenraum
aus Rechtsgründen zur Vermeidung einer Jugendgefährdung möglicherweise
selbst dann erforderlich war, wenn – wie hier – beim Blick von außen
lediglich der Verleihautomat sichtbar war und die Wahrnehmung weitgehend
derjenigen entsprach, die sich dem Betrachter beim Blick in den Geldautomatenbereich
einer Bank erschließt. Es kommt hinzu, daß der Bedienungsvorgang
als solcher nach den Feststellungen des Landgerichts von außen nicht zu beobachten
war, weil der Kunde sich zum Zwecke der Bedienung unmittelbar vor
dem Automaten aufhalten mußte und die Sicht auf den nur 25 x 25 cm großen
tastaturgesteuerten Bildschirm verdeckte, über den Auswahl und Anmietung
erfolgte.
Vor diesem Hintergrund bestand für die Angeklagten bis zum Erscheinen
der Zeugen Se. und R. auch kein Anlaß, weitergehenden Rechtsrat
einzuholen. Die Angeklagten waren durch die Firma C. rechtlich beraten,
die ihre Kenntnisse ihrerseits von auf die einschlägigen Rechtsfragen spezialisierten
Rechtsanwälten ableitete und an die Angeklagten weitergab. Die
Firma C. verfolgte zwar erkennbar eigene wirtschaftliche Interessen. Nach
den Feststellungen bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß ihre
Rechtsauskünfte von diesem Interesse derart geprägt waren, daß sie gleichsam
nur “Feigenblattfunktion” erfüllten (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3
und 4), zumal ein beachtlicher Teil der Verwaltungsgerichte die Rechtsauffassung
der Firma C. bestätigt hat (VG Karlsruhe aaO; VGH BaWü aaO;
ferner OVG NRW aaO).
3. Der Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist, entgegen der Ansicht
des Landgerichts, hier nicht erfüllt. Diese Vorschrift verbietet die Werbung für
pornographische Schriften und will verhindern, daß Personen unter 18 Jahren
für pornographisches Material interessiert und auf mögliche Bezugsquellen
aufmerksam gemacht werden (vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 Rdn. 34).
Dafür bestehen hier keine Anhaltspunkte. Im übrigen war der Automatenraum
Jugendlichen nicht zugänglich. Soweit er bis zum Anbringen der Sichtblenden
einsehbar war – insoweit kommt nur eine Strafbarkeit der Angeklagten W.
und B. in Betracht – unterlagen diese – wie dargelegt – einem unvermeidbaren
Verbotsirrtum.
4. Verstöße gegen § 7 Abs. 4 JÖSchG aF in Verbindung mit den entsprechenden
Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbeständen (§ 12 Abs. 1 Nr. 9,
Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 JÖSchG aF) scheiden aus, nachdem diese Vorschriften
mit Einführung des JuSchG am 1. April 2003 außer Kraft getreten sind. Das
an die Stelle des JÖSchG getretene JuSchG ist insoweit das nach § 2 Abs. 3
StGB bzw. – soweit Ordnungswidrigkeiten in Rede stehen – § 4 Abs. 3 OWiG
mildere Recht, da es – wie oben ausgeführt – kein dem § 7 Abs. 4 JÖSchG entsprechendes
absolutes Verbot des Betriebs von Automatenvideotheken in der
Öffentlichkeit mehr enthält. Soweit § 12 Abs. 4 JuSchG die Vermietung von
Bildträgern mittels Automaten regelt, betrifft diese Vorschrift nur noch die Voraussetzungen,
unter denen diese an in § 12 Abs. 4 JuSchG genannten Orten
aufgestellt werden dürfen. Sie ist hier nicht einschlägig, da der nicht frei zugängliche
Automatenraum keiner der in § 12 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 JuSchG genannten
Örtlichkeiten unterfällt.
5. Ein Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 3 GjSM aF in Verbindung mit § 3
Abs. 1 Nr. 3 GjSM aF bzw. § 27 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG in Verbindung mit § 15
Abs. 1 Nr. 4 JuSchG liegt ebenfalls nicht vor, nachdem die Voraussetzungen
des in seinem Regelungsgehalt für die hier vorliegende Fallgestaltung identischen
§ 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB nicht erfüllt sind.
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