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Im Ausnahmefall zulässig: einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung

Wir beraten immer wieder Betroffene, die eine einstweilige Verfügung erhalten haben. Eine einstweilige Verfügung ist eine gerichtliche Eilentscheidung, die ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ergehen kann. Normalerweise wird eine einstweilige Verfügung im Anschluss an den Ausspruch einer Abmahnung beantragt, wenn der Abgemahnte keine Unterlassungserklärung abgibt. Mitunter kommt es jedoch auch vor, dass Betroffene – quasi aus heiterem Himmel ohne vorherige Abmahnung – eine einstweilige Verfügung erhalten. Was Sie in einem solchen Fall beachten sollten, erläutern wir im nachfolgenden Beitrag:

Was eine einstweilige Verfügung ist

Eine einstweilige Verfügung ist eine gerichtliche Entscheidung, mit der z.B. ein wettbewerbswidriges, ein markenrechtswidriges oder ein patentrechtswidriges Verhalten untersagt wird. Damit sich der Betroffene an die gerichtliche Untersagungsanordnung hält, erfolgt im Zusammenhang mit der Anordnung die Androhung, dass bei einem Verstoß ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro (ersatzweise Ordnungshaft) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verhängt werden kann. In einem Beschluss über den Erlass einer einstweiligen Verfügung liest sich das dann üblicherweise so:

Beschluss

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

des … (Antragsteller)

gegen

den … (Antragsgegner)

wird dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung

unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro

– ersatzweise Ordnungshaft –

oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten,

für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

Die gerichtliche Untersagung bezieht sich dann üblicherweise auf ein Verhalten, welches zuvor mit einer Abmahnung gerügt worden war, z.B.:

  • Wettbewerbsverstöße
  • Verletzung von Markenrechten
  • Verletzung von Designrechten
  • Verletzung von Patentrechten

Umfangreiche Informationen dazu, wie Sie auf eine einstweilige Verfügung reagieren können, finden Sie in unserem Beitrag:

Einstweilige Verfügung erhalten – was tun?

Normalfall: einstweilige Verfügung nach erfolgloser Abmahnung

Im Normalfall wird wegen Wettbewerbsverstößen oder wegen Verstößen gegen gewerbliche Schutzrechte zunächst eine Abmahnung ausgesprochen, mit der die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert wird. Wird keine Unterlassungserklärung abgegeben, wird anschließend ein gerichtliches Verfahren eingeleitet. Die Beantragung einer einstweiligen Verfügung bietet gegenüber einem Klageverfahren den Vorteil, dass eine gerichtliche Entscheidung sehr schnell ergehen kann. Noch schneller geht es natürlich, wenn auf die Abmahnung verzichtet wird. Ein solches Vorgehen wäre zwar grundsätzlich zulässig. Die Sache hat allerdings einen Haken: Der Gesetzgeber möchte nämlich, dass die Gerichte erst angerufen werden, wenn ein vorheriger Versuch einer Einigung gescheitert ist. In § 13 Absatz 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) lautet die entsprechende Regelung z.B. folgendermaßen:

„Die zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten sollen den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.“

In den meisten Fällen wird zu einer berechtigten Abmahnung eine Unterlassungserklärung abgegeben und das Verfahren ist beendet. Grund hierfür sind insbesondere die erheblichen Mehrkosten, wenn ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird. In diesem Fall muss der Abgemahnte nämlich nicht nur die Abmahnkosten tragen, sondern auch die weiteren Kosten des gerichtlichen Verfahrens.

Grundsätzlich möglich: einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung

Es ist zwar grundsätzlich möglich, eine einstweilige Verfügung auch ohne vorherige Abmahnung zu erwirken. Ein solches Vorgehen ist allerdings eine Medaille mit zwei Seiten: Einerseits kann ein rechtswidriges Verhalten durch eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung sehr schnell und effektiv unterbunden werden. Andererseits birgt dieses Vorgehen allerdings die Gefahr, dass der Gegner im gerichtlichen Verfahren ein sogenanntes sofortiges Anerkenntnis erklärt. Unerfreuliche Folge für den Antragsteller: Er muss dann die Kosten für die Beantragung der einstweiligen Verfügung tragen, selbst wenn sein Anspruch auf Unterlassung berechtigt ist.

Nur im Ausnahmefall: einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung und ohne Kostennachteile

In bestimmten Fallkonstellationen ist der Ausspruch einer Abmahnung aus einem einfachen Grund problematisch: Wenn es z.B. um markenrechtsverletzende oder patentrechtsverletzende Waren geht, dann besteht Grund für die naheliegende Annahme, dass der Abgemahnte die problematische Ware nach dem Erhalt der Abmahnung beiseite schafft, um sie nicht an den Rechteinhaber herausgeben oder vernichten zu müssen. Daher ist es in solchen Fällen ausnahmsweise zulässig, eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung zu erwirken. Die einstweilige Verfügung enthält dann üblicherweise nicht nur eine gerichtliche Untersagungsanordnung, sondern noch eine weitere Anordnung, die von der Untersagungsanordnung betroffenen Waren an einen Gerichtsvollzieher zur Verwahrung herauszugeben. Eine solche Anordnung lautet z.B. wie folgt:

Dem Antragsgegner wird aufgegeben,

die in seinem Besitz oder Eigentum befindlichen Waren gemäß Ziffer 1

an einen von dem Antragsteller zu beauftragenden Gerichtsvollzieher

zum Zwecke der Verwahrung

im Hinblick auf eine spätere Vernichtung herauszugeben,

wobei der Antragsteller den Gerichtsvollzieher gegebenenfalls

mit der Wegnahme dieser Waren zu diesem Zwecke beauftragen kann.

In einem solchen Ausnahmefall kommt der Gerichtsvollzieher nicht nur als Überbringer der einstweiligen Verfügung, sondern auch, um die von der gerichtlichen Untersagungsanordnung betroffenen Waren mitzunehmen.

Wichtig: Die gerichtlichen Vorgaben sind sofort umzusetzen

Es spielt zunächst keine Rolle, ob Sie die einstweilige Verfügung für berechtigt halten oder nicht. Und selbst wenn Sie sich entscheiden, sich gegen die einstweilige Verfügung zur Wehr zu setzen: Sie müssen die gerichtlichen Anordnungen zunächst beachten und umsetzen. Das bedeutet:

Um eine Untersagungsanordnung einzuhalten, müssen Sie das genannte Verhalten sofort (!) einstellen und zunächst auch weiterhin unterlassen. Im Kern gleichartiges Verhalten erfasst die Untersagungsanordnung übrigens auch. Und bei Rechtsverstößen im Internet müssen Sie auch noch überprüfen, ob auch in der Vergangenheit veröffentlichte Inhalte entfernt oder abgeändert werden müssen.

Um eine Herausgabeanordnung einzuhalten, müssen Sie die von der Untersagungsanordnung betroffenen Produkte herausgeben. Welche Produkte im Einzelnen betroffen sind, richtet sich also nach der Reichweite der zugrundeliegenden Untersagungsanordnung. Deshalb ist die genaue Prüfung der Untersagungsanordnung im Falle der Kopplung mit einer Herausgabeanordnung in zweifacher Hinsicht wichtig.

Wir beraten Sie

Die „richtige“ Reaktion auf eine einstweilige Verfügung hängt von Ihrer konkreten Situation und Ihren Interessen ab. Entscheidend ist, dass Sie sich über die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten mit den jeweiligen Konsequenzen klar werden, damit Sie die für Sie „richtige“ Entscheidung treffen können. Gern unterstützen wir Sie insoweit mit konkreten Einschätzungen und Handlungsempfehlungen. Sprechen Sie uns einfach an!

Ihre Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke