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EuGH: Wie wird der Wertersatz berechnet, wenn ein Fernabsatzvertrag über eine Dienstleistung widerrufen wird?

Über das Internet können nicht nur Kaufverträge abgeschlossen werden. Auch Dienstleistungsverträge sind üblich. Vereinfacht gesagt: Bei einem Kaufvertrag geht es um die Übergabe einer Ware. Alles was nichts mit einer Ware zu tun hat, ist meistens eine Dienstleistung.

Werden derartige Verträge über das Internet abgeschlossen oder außerhalb von Geschäftsräumen, hat der Verbraucher auch hier ein Widerrufsrecht. Eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vorausgesetzt beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage ab Vertragsschluss.

Anders als bei einem Widerrufsrecht über Sachen bei Kaufverträgen besteht gemäß § 356 Abs. 5 BGB die Möglichkeit, dass das Widerrufsrecht vorzeitig erlischt:

„Das Widerrufsrecht erlischt bei einem Vertrag über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten auch dann, wenn der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags begonnen hat, nachdem der Verbraucher

1.      ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und

2.      seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er durch seine Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrags sein Widerrufsrecht verliert.“

Wird bei einem Kaufvertrag der Vertrag widerrufen, sind die Leistungen zurückzugewähren. Dies ist durch das Zurücksenden der Produkte auch einfach möglich. Bei einer Dienstleistung funktioniert dies nicht. Wenn es sich nicht gerade um digitale Inhalte handelt, hat im Fall des Widerrufes eines Dienstleistungsvertrages der Unternehmer einen Wertersatzanspruch gemäß § 357 Abs. 8 BGB:

„Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der Anspruch aus Satz 1 besteht nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ordnungsgemäß informiert hat. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht der Anspruch nach Satz 1 nur dann, wenn der Verbraucher sein Verlangen nach Satz 1 auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat. Bei der Berechnung des Wertersatzes ist der vereinbarte Gesamtpreis zu Grunde zu legen. Ist der vereinbarte Gesamtpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung zu berechnen.“

Im Falle des Widerrufes schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung. Wie dieser Wertersatz dann im Einzelnen zu berechnen ist, ist nicht abschließend geklärt. Es kommt auf die Art des Vertrages und die erbrachte Leistung an.

EuGH zum Partnervermittlungs-Vertrag

Der europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 8.10.2020, Aktenzeichen C-641/19) hat sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit einem Partnervermittlungs-Vertrag von „Parship“befasst.

Eine Kundin hatte einen Vertrag über 12 Monate zu einem Preis von 523,95 € abgeschlossen und diesen Vertrag fristgerecht widerrufen. Der Anbieter berechnete als Wertersatz 392,96 €.

Am Anfang des Vertrages erstellt der Kunden ein „Persönlichkeitsgutachen“. Es ging um die Frage, ob das Gutachten eine abgrenzbare Teilleistung ist, für die ein größerer Betrag im Rahmen des Wertersatzes geltend gemacht werden kann.

Hierzu äußert sich der EuGH wie folgt:

„Der anteilige Betrag, den der Verbraucher gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83 zu zahlen hat, ist grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Leistungen zu berechnen, die Gegenstand des Vertrags sind, d. h. der Hauptleistung und der Nebenleistungen, die für die Erbringung dieser Hauptleistung erforderlich sind. Wenn nämlich die Vertragsparteien einen Preis für die erbrachten Leistungen vorsehen, entspricht dieser Preis grundsätzlich allen diesen Leistungen, Hauptleistungen wie Nebenleistungen.

Nur wenn der Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, kann der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob er gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83 ausdrücklich verlangen soll, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung während der Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts beginnt. Nur in einem solchen Fall ist daher bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall sah der in Rede stehende Vertrag aber keinen gesonderten Preis für irgendeine Leistung vor, die als von der in diesem Vertrag vorgesehenen Hauptleistung abtrennbar angesehen werden kann.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass zur Bestimmung des anteiligen Betrags, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen hat, wenn er ausdrücklich verlangt hat, dass die Ausführung des geschlossenen Vertrags während der Widerrufsfrist beginnt, und dann den Vertrag widerruft, grundsätzlich auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen ist. Nur wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, ist bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.“

Dementsprechend geht der EuGH davon aus, dass der Wertersatz zeitanteilig zu berechnen ist. Es ist somit nur der Wertersatz zu zahlen für die Tage, an denen die Kundin das Angebot genutzt hat, bezogen auf die Gesamtlaufzeit des Betrages.

„Nur wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, ist bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.“,

so der EuGH.

Was die Entscheidung für den Widerruf bei Dienstleistungen im allgemeinen bedeutet

Viele Dienstleistungsverträge im Internet haben eine bestimmte Laufzeit. Wenn somit der Verbraucher widerruft, ist der Wertersatz angesichts der 14-tägigen Widerrufsfrist nicht besonders hoch, wenn man bedenkt, dass die meisten Verträge mindestens eine Laufzeit von 12 Monaten haben. Nach der EuGH-Rechtsprechung errechnet sich die Dienstleistung aus der Formel:

Wertersatz= Gesamtpreis für die Vertragslaufzeit x (Laufzeit des Vertrages in Tagen geteilt durch (Tage zwischen Vertragsschluss und Widerruf))

Bei anderen Dienstleistungsverträgen wird man genauer hin sehen müssen. Dies gilt z.B. dann, wenn die Dienstleistung gar keine Vertragslaufzeit hat, z.B. bei einer Handwerkerleistung.

Was genau ist Inhalt des Vertrages, was wurde vertraglich durch den Unternehmer bereits erbracht?

Wenn z.B. eine Handwerkerleistung widerrufen wird, lässt sich in der Regel sehr genau feststellen, welche Leistungen bereits erbracht wurden.

Es ist ferner zu erwarten, dass die Anbieter ihre Verträge umstellen und z.B. Persönlichkeitsgutachten im Gesamtpreis der Laufzeit gesondert ausweisen. Dies kann für Unternehmer eine Möglichkeit sein, im Falle des Widerrufes dennoch einen höheren Wertersatz geltend zu machen. Zudem wird bei vielen Dienstleistungen gerade am Anfang häufig ein hochwertiger Teil durch den Unternehmer erbracht.

Stand: 08.09.2020

Es berät Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard