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Aufbrauchfrist – wenn eine Unterlassungserklärung oder ein Unterlassungsurteil nicht sofort wirksam werden soll

Sowohl bei einer Unterlassungserklärung wie aber auch bei einer zugestellten einstweiligen Verfügung gilt: Die Verpflichtung zur Unterlassung gilt sofort.

Bei einer abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärung ist diese mit Zugang bei dem Abmahner bzw. seinem Rechtsanwalt sofort „wirksam“.

Ist bis zu diesem Zeitpunkt die Einhaltung der Unterlassungserklärung nicht gegeben, kann der Abmahner eine Vertragsstrafe geltend machen.

Daher sollte, ein wichtiger Tipp aus unserer langjährigen Beratungspraxis, eine Unterlassungserklärung nur dann abgegeben werden, wenn sie überhaupt eingehalten werden kann und vor allen Dingen zum Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungserklärung gewährleistet ist, dass kein Verstoß gegeben ist. Gerade bei einer Unterlassungserklärung wird die Reichweite häufig übersehen:

Eine Unterlassungserklärung ist häufig so allgemein formuliert, dass sie sich nicht nur ein bestimmtes Produkt, ein bestimmtes Angebot oder eine bestimmte Plattform bezieht. Zudem kann eine Unterlassungserklärung über den Wortlaut hinausgehen: In bestimmten Konstellationen kann es eine Rückrufverpflichtung gegenüber gewerblichen Abnehmern geben.

Diese muss natürlich erledigt sein, bevor eine Unterlassungserklärung abgegeben wird. Das tückische dabei: Die Rückrufverpflichtung ergibt sich aus der Rechtsprechung aufgrund eines sogenannten Beseitigungsanspruches. Häufig wird die Rückrufverpflichtung weder im Abmahnschreiben noch in der Unterlassungserklärung ausdrücklich erwähnt.

Bei einer einstweiligen Verfügung (dem Beschluss eines Landgerichtes auf Unterlassung mit gleichzeitiger Androhung eines Ordnungsgeldes) gilt:

Die einstweilige Verfügung wird mit der sogenannten Vollziehung wirksam. Dies bedeutet, dass die einstweilige Verfügung entweder dem Abgemahnten per Gerichtsvollzieher zugestellt werden muss oder seinem zustellbevollmächtigten Rechtsanwalt.

Rettungsanker Aufbrauchfrist?

Aufbrauchfrist bedeutet, dass sowohl eine Unterlassungserklärung wie aber auch eine einstweilige Verfügung nicht sofort wirksam wird mit der Folge, dass nicht sofort entweder eine Vertragsstrafe geltend gemacht werden kann im Falle eines Verstoßes oder bei einer einstweiligen Verfügung ein Ordnungsgeld beantragt werden kann.

Eine Aufbrauchfrist in einer Unterlassungserklärung sollte immer mit dem Abmahner abgeklärt werden, da es keinen generellen Anspruch auf Einräumung einer Aufbrauchfrist gibt. Die Aufbrauchfrist kann in diesem Fall „Verhandlungsmasse“ sein.

In einem einstweiligen Verfügungsverfahren kann das Gericht eine Aufbrauchfrist festsetzen. Die Anforderungen an die gerichtliche Einräumung einer Aufbrauchfrist hat der Bundesgerichtshof aktuell in der Entscheidung „Knuspermüsli II“ (BGH, Urteil vom 07.04.2022, Az.: I ZR 143/19) noch einmal dargelegt.

Es ging um eine nach Ansicht des Gerichtes fehlerhafte Nährwertinformation auf der Verpackung eines Müslis eines bekannten Herstellers.

Nachdem das OLG die Klage zurückgewiesen hatte, hatte der verklagte Hersteller vor dem BGH unter anderem beantragt, eine Aufbrauchfrist zu gewähren, nachdem bereits produzierte Verpackungen mit der angegriffenen Kennzeichnung die bis zum 30.06.2022 an den Einzelhandel vertrieben werden, nicht zurückgerufen werden müssen.

Zur Erinnerung: Gerade bei produktbezogenen Unterlassungsansprüchen, wie einer fehlerhaften Kennzeichnung, kommen neben Unterlassungsansprüchen auch immer Rückrufansprüche in Betracht. Auch ein unterlassener Rückruf kann einen Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung oder eine einstweilige Verfügung zur Folge haben.

Voraussetzung für eine gerichtliche Aufbrauchfrist

Eine Aufbrauchfrist ist durch ein Gericht in Ausnahmefällen zu gewähren, und zwar nur dann, wenn dem Unterlassungsschuldner durch das Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Abmahners wie aber auch der Allgemeinheit durch die befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden.

Notwendig ist somit eine Interessenabwägung, wobei insbesondere das Verschulden des Abgemahnten zu berücksichtigen ist. Ein Beurteilungsfaktor ist hierbei der Zeitraum, zudem das streitgegenständliche Verhalten unbeanstandet vorgenommen wurde. Ein wichtiger weiterer Faktor ist insbesondere das Interesse der Allgemeinheit und der Verbraucher. Ist hier ein Interesse gegeben, kommt in der Regel eine Aufbrauchfrist, so der BGH, nicht in Betracht.

Für den vom BGH entschiedenen Fall, der eine Aufbrauchfrist abgelehnt hatte, bedeutete dies Folgendes:

Der Fall

Der Hersteller hatte die Produkte seit 2014 mit etwa 40 Sorten vertrieben. Eine Behörde hätte ihm bestätigt, dass die Kennzeichnung nicht gegen die Lebensmittelinformationsverordnung verstoße. Der beklagte Hersteller hatte, der BGH hatte eine Rechtsfrage dem EuGH vorgelegt, seit November 2021 Kenntnis, dass das Urteil nicht zu seinen Gunsten ausgehen würde, bis Januar 2022 habe es gedauert, die Verpackungen neu zu drucken. Der Hersteller wollte, dass die unzulässig gekennzeichneten Produkte noch bis Mai 2022 an den Einzelhandel abverkauft und bis Oktober 2022 zum größten Teil an Endverbraucher vertrieben werden können. Aufgrund des Mindesthaltbarkeitsdatums sei von einem Vertrieb im Einzelhandel bis Februar 2023 auszugehen. Der Hersteller ging ferner von 2 Mio. Packungen aus, die sich noch im Handel befänden. Ein Rückruf würde daher zu einem Schaden in erheblicher Millionenhöhe führen.

Verschulden=keine Aufbrauchfrist

Da die erste Instanz bereits 2018 das Unternehmen auf Unterlassung (wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollstreckbar) verurteilt hatte, sah das Gericht seitens des Beklagten ein Verschulden. Es sei klar, dass die Packungskennzeichnung im Grenzbereich des rechtlich zulässig sei. Zudem seinen Verbraucherinteressen ernsthaft betroffen. Das Argument einer Vernichtung von Lebensmitteln würde ebenfalls nicht zählen, da eine Umetikettierung oder Neuverpackung möglich sei.

Es kommt bei der Frage, ob es einen Anspruch in einem gerichtlichen Verfahren auf eine Aufbrauchfrist gibt, somit immer auf den Einzelfall an.

Kosten-/ Nutzenabwägung?

Bei einer gerichtlichen Untersagung wird dem Beklagten ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 Euro angedroht. Ein derart hoher Betrag ist in der Praxis selten, aber nicht ausgeschlossen. Es kann daher durchaus Sinn machen, eine entsprechende Risikoabwägung und Kosten-/Nutzenrechnung vorzunehmen oder mit dem Abmahner zu verhandeln.

Wir beraten Sie bei einer Abmahnung, einstweiligen Verfügung und der Möglichkeit einer Aufbrauchfrist.

Stand: 19.05.2022

Es beraten Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke