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Titelerschleichung: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit unvollständigen Informationen ist Rechtsmissbrauch

Das Thema Rechtsmissbrauch gem. § 8 Abs. 4 UWG ist häufig bei Massenabmahnungen einschlägig, bei denen es dem Abmahner oder seinem Rechtsanwalt in erster Linie um Gebühren geht. Es gibt jedoch auch noch andere Aspekte des Rechtsmissbrauchs, wenn nämlich versucht wird, mit unlauteren Mitteln einen gerichtlichen Titel (bspw. einstweilige Verfügung auf Unterlassung) zu erhalten.

Nachdem bereits das OLG München (OLG München, Urteil vom 08.06.2017, Az.: 29 U 1210/17) das Verschweigen der Reaktion des Abgemahnten als rechtmissbräuchlich angesehen hatte, gibt es jetzt eine weitere Entscheidung des Landgerichtes Bochum (LG Bochum, Urteil vom 08.05.2018, Az.: I-16 O 57/18).

Es ging um die angebliche Bewerbung mit falschen unverbindlichen Preisempfehlungen. Dem Gericht stieß bitter auf, dass entgegen der Verpflichtung des § 138 Abs. 1 ZPO der Antragsteller nicht vollständig und wahrheitsgemäß vorgetragen hatte. Der Antragsteller hatte einen Auszug aus einem “Workbook” des Herstellers abgereicht, das unverbindliche Preisempfehlungen enthielt. Das Gericht steigt dann intensiv in die Materie ein:

“Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass dem Antragsteller das Workbook insgesamt vorlag – etwas anderes behauptet nicht einmal der Antragsteller selbst – und mithin auch in seiner Gänze bekannt war. Dann aber muss dem Antragsteller auch klar gewesen sein, dass sich dem Gericht bei Durchsicht des vollständigen Workbooks bzw. der nicht vorgelegten Seiten 54 und 55 erhebliche Zweifel an der Begründetheit des mit dem Antrag zu 1. (Werbung unter Gegenüberstellung des eigenen Verkaufspreises mit unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers) begehrten Unterlassungsanspruchs hätten aufdrängen müssen.

Bei einem Vergleich anhand der Artikelnummern des Herstellers ergaben sich daraus für die in den streitgegenständlichen Amazon-Angeboten (…) von der Antragsgegnerin beworbenen Kinderfahrrädern aus den fehlenden Seiten 54/55 des “Workbooks” nämlich genau die von der Antragsgegnerin als “Streichpreise” angegebenen unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers und gerade nicht die insoweit vom Antragsteller – allein durch nicht datierte Ausdrucke aus dem B2B-Shop des Herstellers, denen im ersten Fall aufgrund des vom Antragstellers gewählten Bildausschnitts noch nicht einmal die Artikelnummer des Herstellers zu entnehmen war, weil diese schlicht “abgeschnitten” worden war (vgl. Anlage AS 3, Bl. 163 d. e-Akte) – glaubhaft gemachten Preisempfehlungen.
Dieser Verstoß gegen die prozessuale Pflicht zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärungen wiegt vorliegend deswegen besonders schwer, weil der Antragsteller ausdrücklich den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung beantragt hat. Dass die Antragsgegnerin eine Schutzschrift hinterlegt hatte, ist für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit im vorliegenden Fall unerheblich. Der Antragsteller hatte bei Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung von der Hinterlegung der Schutzschrift keine Kenntnis und hat von dieser erst durch die Terminsladung, der die Schutzschrift in Abschrift beigefügt war, erfahren. Hinzu tritt, dass der Schutzschrift ohnehin noch keine vollständige Fassung des “Workbooks” beigefügt war, so dass dem Gericht die maßgebliche Information erst später, nämlich durch die dem Schriftsatz vom 03.05.2018 als Anlage 10 beigefügte Ablichtung des vollständigen “Workbooks” zugänglich geworden ist.

Auch eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt nicht, dass der Versuch der Titelerschleichung vorliegend ausnahmsweise nicht als missbräuchlich anzusehen wäre. Zwar hat die Antragsgegnerin hinsichtlich des mit dem Antrag zu 2. begehrten Unterlassungsanspruch zugrundeliegenden Angebots (Angabe eines unzutreffenden Modelljahres) wohl gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstoßen und damit potentiell den weiteren beruflichen Erfolg des Antragstellers gefährdet.
Gleichwohl stehen dem Antragsteller die zivilprozessualen Instrumentarien gegen das Vorgehen der Antragsgegnerin nur unter Beachtung der grundlegenden Verfahrensregeln zur Verfügung. Der Versuch der Erschleichung eines Titels durch einen groben Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht ist auch dann missbräuchlich, wenn der geltend gemachte Anspruch materiell berechtigt ist (vgl. OLG München, a.a.O., Tz. 10, zitiert nach juris).”

Bei einer Abmahnung und erst recht bei einer einstweiligen Verfügung sollte daher der Sachverhalt immer sehr genau geprüft werden. Insbesondere sollte genau geschaut werden, was der Abmahner eigentlich konkret in der Antragschrift vorgetragen hat und was nicht.
Wir beraten Sie.

Stand: 21.06.2018

Es beraten Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke

 

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