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Hohe Anzahl von Abmahnungen von sicher durchsetzbaren Wettbewerbsverstößen sind rechtsmissbräuchlich (OLG Jena)

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Auch das Oberlandesgericht Jena (OLG Jena, Urteil vom 06.10.2010, Az.: 2 U 386/10) hat sich aktuell umfangreich zum Thema rechtsmissbräuchliche Abmahnungen geäußert. Der Abmahner hatte allein vor dem Landgericht Leipzig in einem Zeitraum von etwa neun Monaten 65 Verfahren anhängig gemacht, beim Landgericht Gera innerhalb von drei Monaten 13 Verfahren. Auf Aufforderung des erstinstanzlichen Gerichtes hatte der Abmahner keine konkreten Angaben zur Gesamtzahl der von ihm ausgesprochenen Abmahnung machen können oder wollen.

Das OLG Jena hat daher Rechtsmissbrauch gemäß § 8 Abs. 4 UWG angenommen und dies gleich mehrfach begründet.

1. Hohe Anzahl von Abmahnungen

Allein die hohe Anzahl von Abmahnungen im Zusammenhang mit weiteren Indizien spricht nach Ansicht des Oberlandesgerichtes dafür, dass die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche überwiegend von sachfremden Motiven geleitet wurden. Diese sachfremden Motive sind im Übrigen in erster Linie die Anwaltsgebühren des abmahnenden Rechtsanwaltes.

Sicher durchsetzbare Verstöße können ebenfalls für Rechtsmissbrauch sprechen.

Im vorliegenden Fall bezogen sich die Abmahnungen in erster Linie bei eBay auf falsche Widerrufsbelehrungen bzw. Geschäftsbedingungen im Internet. Nach Ansicht des Gerichtes war der Abmahner in einem Feld tätig, in dem vermeintliche Wettbewerbsverstöße ohne Schwierigkeiten und ohne großen Aufwand in großer Zeit recherchierbar waren. Allein ein derartig spezialisiertes Vorgehen spricht für Rechtsmissbrauch.

Hinzukommt, dass das geschäftliche Handeln des Wettbewerbers offensichtlich durch falsche Widerrufsbelehrungen oder AGB rein tatsächlich nicht beeinträchtigt war. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass es darauf eigentlich nicht ankommt, da eine falsche Widerrufsbelehrung in der Regel ohne Wenn und Aber wettbewerbswidrig ist. Der Abmahner hatte behauptet,dass sein Umsatz nach Ausspruch von Abmahnungen gestiegen sei. Dies hat das Gericht bezweifelt, da gerichtsbekannt sei, dass Kaufentscheidungen im Internet weit überwiegend auf Grund des angebotenen Preises und des Services, nicht aber auf Grund der zugrunde gelegten Geschäftsbedingungen und der Widerrufsbelehrung getroffen werden. Dieser Ansicht stimmen wir auf jeden Fall zu, kennen wir doch aus unserer Beratungspraxis kaum einen Fall, in dem ein Internetverkäufer mit Benachteiligungsabsicht unwirksame AGB-Klauseln oder ein falsches Widerrufsrecht verwendet hatte.

2. Abmahntätigkeit steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Umfang des Geschäftsbetriebes

Wer viel abmahnt, muss Abmahnungen auch bezahlen können. Im vorliegenden Fall hatte der Abmahner zwar 2009 einen Umsatz in Höhe von 2,3 Mio Euro erwirtschaftet, jedoch für das Jahr 2008 (nachdem vorher offensichtlich Verluste eingefahren wurden) nur einen Gewinn von ca. 3.400,00 Euro erzielen können. Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes ist das Geschäftsmodell der Abmahnerin kaum gewinnträchtig. Insbesondere deutet nichts darauf hin, dass sich diese sehr schlechte Umsatzrendite im Jahr 2010 gebessert habe. Dann wird der Senat deutlich:

Entschließt sich gerade eine solche finanzschwache GmbH zu einer – wie im Streitfall – umfangreichen Abmahn- und Prozesstätigkeit, ist dies mit einem vernünftigen kaufmännischen Gebaren nicht vereinbar, sondern indiziert rechtsmissbräuchliches Vorgehen bei der Abmahnung, denn auf Grund des Umfanges der Abmahnungen und der eingeleiteten gerichtlichen Verfahren geht die Verfügungsklägerin ein ganz erhebliches, vom Verfügungsbeklagten nachvollziehbar glaubhaft gemachtes Prozessrisiko ein. Selbst wenn sie in den begonnenen wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten obsiegt, ist es nicht ausgeschlossen, dass die jeweiligen Gegner ihr die entstandenen Kosten mangels eigener Leistungsfähigkeit nicht erstatten können. Dies gilt gerade auch deshalb, weil die Verfügungsklägerin gegen Wettbewerber auf der Plattform eBay vorgeht, die oft keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb unterhalten und nur äußerst geringe Umsätze machen. Aber auch durch zu weitgehende Abmahnungen bzw. Verfügungsanträge bzw. durch das Provozieren von Gegenabmahnungen geht die Verfügungsklägerin ein erhebliches Kostenrisiko ein, das ein anderer, vernünftiger Kaufmann, der lediglich einen Jahresgewinn von unter 3.500,00 Euro ausweisen kann, nicht eingehen würde. Dies jedenfalls dann, wenn der im Wettbewerb stehende Kaufmann die tatsächlich angefallenen, vom Gegner nicht erstatteten Gerichts- und Anwaltskosten seinem eigenen Rechtsanwalt auch tatsächlich bezahlen muss, weil dies für seinen Geschäftsbetrieb existenzgefährdend sein kann.

Klare Worte, denen wir nur wenig hinzufügen möchten. Sehr hilfreich kann hier auch ein Blick den den elektronischen Bundesanzeiger sein, in dem Informationen und Bilanzen von Unternehmen veröffnetlicht werden. Der vorliegende Fall scheint der Klassiker zu sein: Trotz wenig Gewinn (der Umsatz zählt hier kaum), wird umfangreich abgemahnt, der Abmahner sucht sich bewusst kleinere Händler offensichtlich in der Annahme, dass diese einen Rechtsstreit scheuen werden. Ohnehin ist unsere Praxiserfahrung, dass, je kleiner ein Internethändler ist oder wirkt, desto größer die Chance ist, dass er tatsächlich abgemahnt wird, da derartige Händler offensichtlich als “einfache Gegner” gelten.

3. Kostenfreistellung durch den abmahnenden Rechtsanwalt

Es wird noch besser: Der Senat hat ferner angenommen, dass der Abmahner den Verdacht der Kostenfreistellung durch ihren Prozessbevollmächtigten nicht habe ausräumen können. Rechtsverfolgungskosten haben zudem keinen Eingang in die Bilanz gefunden, der Abmahner habe zudem nicht nachweisen können, dass die bei Ihrem Rechtsanwalt angefallenen, vom Gegner nicht erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten tatsächlich auch gezahlt worden seien.

Üblich und uns nicht unbekannt sind in diesem Zusammenhang die hier vorgebrachten Argumente des Abmahner:

Rechnungen werden grundsätzlich bezahlt bzw. es existiere ein “komplexes Mandatsverhältnis, welches nicht nur Wettbewerbssachen umfasse”. Es gebe eine “Gesamtvereinbarung mit dem Anwalt, die sich auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz stütze”, etc., etc..

Auch uns sind aus der Beratungspraxis derartige Ausflüchte des Abmahners bei Vielfachabmahnungen nicht ganz unbekannt. Relativ leicht lässt sich errechnen, wie hoch nicht nur das Kostenrisiko, sondern die rein tatsächlich angefallenen Kosten bei einer Vielzahl von Abmahnungen sind. Die Beträge, die hier zusammenkommen, sind erheblich und es ist in der Regel mehr als unwahrscheinlich, dass diese durch den Abmahner auch gezahlt werden. Insofern kann – wie im vorliegenden Fall – die Vorlage einer gezahlten Gebührenrechnung offensichtlich für dieses Verfahren, die kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gezahlt wurde, nicht überzeugen …

4. Überhöhte Streitwerte

Im Falle des Fehlens von Widerrufsbelehrungen geht das OLG von einem Streitwert von maximal 3.500,00 Euro aus, bei bloß fehlerhafter Widerrufsbelehrung lediglich von 1.500,00 Euro. Auch für fehlerhafte Klauseln in AGB nimmt der Senat einen Streitwert von 1.500,00 Euro an, bei einer fehlenden Impressumspflicht 1.000,00 Euro, ggf. auch niedriger. Wir dürfen darauf hinweisen, dass es durchaus OLG-Bezirke gibt, in denen die Streitwerte sehr viel höher sind. Unabhängig davon hatte sich der Abmahner auch hier rein gerissen, da außergerichtlich Streitwerte von bis zu 60.000,00 (!) zu Grunde gelegt wurden. Hinzukommt, auch dies ist uns nicht unbekannt, dass bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen teilweise niedrige Streitwerte in Ansatz gebracht werden.

5. Forumshopping

Als Forumshopping wird der Wechsel des Gerichtsortes bezeichnet. Auf Grund des fliegenden Gerichtsstandes bei Wettbewerbsverstößen im Internet kann der Abmahner sich das Gericht aussuchen. Folge ist, dass gerne Gerichte gewählt werden, bei denen nicht nur die üblichen Wettbewerbsverstöße im Internet schnell durchgewunken werden, sondern die auch bei der Frage des Rechtsmissbrauches entweder keine Rechtsprechung haben oder als eher hartleibig gelten. Im vorliegenden Fall hatte der Abmahner keine Ansprüche mehr in Leipzig geltend gemacht, nachdem dort Fragen des Rechtsmissbrauches problematisiert wurden. Es folgte ein Wechsel an das Landgericht Gera.

6. Verlust des Überblicks, weil zu viele Abmahnungen

Übel aufgestoßen ist dem Senat auch der Umstand, dass es bei der “Verfolgung” (im Original mit Anführungsstrichen im Urteil!) von angeblichen Wettbewerbsverstößen zu Fehlern gekommen sei, die nahe legen, dass der Abmahner teilweise den Überblick über die ausgesprochenen Abmahnungen verloren hat. So wurden Abmahnungen, Unterlassungserklärungen beigefügt, die einen anderen Abgemahnten enthielten, zum Teil wurden Unterlassungsansprüche nicht weiterverfolgt. Im Rahmen der im Rechtsmissbrauch immer wichtigen “Gesamtbetrachtung” hat der Senat auch dies berücksichtigt. Nicht gut kam ferner der Umstand an, dass nach Abgabe einer Unterlassungserklärung unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafenansprüche versucht wurden durchzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass sich die ganze Angelegenheit ja auch für den Abmahner selber lohnen soll, auch kein Wunder.

Nachweis von Rechtsmissbrauch: Informationen sind wichtig

Dieser Fall zeigt, dass nicht nur vor dem OLG Hamm, sondern auch vor anderen Oberlandesgerichten das Argument des Rechtsmissbrauches mittlerweile gehört wird. Voraussetzung ist, dass möglichst viele Informationen über den Abmahner vorliegen. Dies gilt nicht nur für die Anzahl der Abmahnungen, sondern auch für die weiteren Gesamtumstände.

Je mehr man in der Hand hat, desto größer die Chance, dass der Abgemahnte mit dem Argument des Rechtsmissbrauches durchdringt.

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Ihre Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke, Rostock

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