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Leitsatz:

Ein Altersverifikationssystem (AVS) mit Hilfe der Eingabe einer Personal- oder Passausweisnummer mit Postleitzahl des Ausstellungsortes ist nicht ausreichend

Landgericht Krefeld Aktenzeichen: 11 O 85/0  vom 15. September 2004

Aus dem Tenor:

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 15.07.2004 wird mit dem folgenden Wortlaut im Hauptsacheausspruch aufrecht erhalten:

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es bei Meldung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr, insbesondere im Internet, Abbildungen mit pornografischem Inhalt, besonders solche mit der Altersfreigabe FSK 18 zu verkaufen oder zu vertreiben, ohne vorher die Volljährigkeit des Bestellers/Erwerbers in ausreichender und in zweifelsfreier Weise verifiziert zu haben, wozu das von der Antragsgegnerin verwendete Altersverifikationssystem “[…]” nicht ausreicht.

Die weiteren Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Tatbestand

Die Parteien bieten im Internet pornografische Darstellungen an, die nach den gesetzlichen Bestimmungen des Jugendmedienstaatsvertrages nur zulässig sind, wenn von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass die Inhalte nur Erwachsenen zugänglich sind. Die Antragstellerin nutzt das Altersverifikationssystem “X-Check”, während die Antragsgegnerin ihr Angebot mit dem kostenfreien System “[…]” schützt. Dieses System erfordert die Eingabe einer Personal- oder Reisepassnummer mit Eingabe der Postleitzahl des Ausstellungsortes. Aus der Nummer lässt sich ersehen, ob der Nutzer volljährig ist. Zudem ist die Angabe einer E-Mail-Adresse und die Wahl eines Passwortes sowie die Unterwerfung unter die AGB, die verlangen, dass alle Angaben der Wahrheit entsprechen, erforderlich. Die Version 2 des Systems erfordert zudem die Angabe von Namen, Adresse, Kontonummer mit Bankleitzahl oder Kreditkartennummer. Über diese Verbindung wird der für die Nutzung des Systems geschuldete Betrag eingezogen.

Das System X-Check, das kostenpflichtig ist, setzt eine persönliche Identifizierung mit Altersüberprüfung vor Aushändigung eines USB-Stickers voraus, der alleine den Zugriff gewährt.

Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, dass von der Antragsgegnerin verwendete Altersverifikationssystem (AVS) genüge den gesetzlichen Anforderungen des Jugendmedienstaatsvertrages nicht. Die Antragsgegnerin verschaffe sich durch die Nutzung des kostenfreien Systems mit der leichten Zugänglichkeit ihr gegenüber einen Wettbewerbsvorteil. Ihr Verhalten sei wettbewerbswidrig.

Eine geforderte strafbewährte Unterlassungserklärung hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben. Daraufhin hat die Antragstellerin am 15.07. eine einstweilige Verfügung des Inhalts erwirkt, dass der Antragsgegnerin – unter Androhung eines Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft – untersagt wird, im geschäftlichen Verkehr im Internet Abbildungen mit pornografischern Inhalt, besonders solche mit der Altersfreigabe FSK 18 Zu verkaufen oder zu vertreiben, ohne vorher die Volljährigkeit des Bestellers oder Erwerbers in ausreichender und in zweifelsfreier Weise verifiziert zu haben. Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung der Kammer vom 15.07.2004 aufrecht zu erhalten,

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung der Kammer aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, das vor ihr verwendete AVS verstoße – wie einige Gutachten bestätigt hätten – nicht gegen die Vorschriften des Jugendmedienstaatsvertrages, denn es gewährleiste in ausreichender Weise, dass nur Erwachsene oder Jugendliche mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten Zugriff auf von ihr angebotene pornografische Darstellungen hätten. Zudem könnten die Erziehungsberechtigten durch Verwendung des sog. ICRA-Systems den Zugriff auf Seiten mit pornografischem Inhalt verhindern. Auch könnten diese ihre Ausweisnummern sperren lassen. Zudem würden die angegebenen Personalausweisnummern dergestalt auf ihre Richtigkeit überprüft, dass nicht existierende Nummern erkannt würden. Im übrigen sei der Konsum pornografischer Darstellungen für die Entwicklung von Minderjährigen nicht schädlich.

Es fehle zudem an einem Verfügungsgrund, da sie das AVS schon seit mehreren Jahren einsetze. Auch sei der Verfügungstenor zu unbestimmt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie auf die von Ihnen vorgelegten Gutachten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 15.07.2004 ist aufrecht zu erhalten, da sie rechtmäßig ergangen ist. Die Kammer hat lediglich klargestellt, dass die Verifikation des Bestellers durch die Verwendung des Altersverifikationssystems “[…]” nicht in ausreichender Weise gewährleistet ist. Im Übrigen hat sie den Hinweis auf die Verwendung des AVS X-Check herausgenommen. Dies bedeutet indes keine sachliche Änderung des Beschlusstenors.

Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist das neue UWG anzuwenden. da mit Verkündung dieses Gesetzes im Bundesgesetzblatt am 03.07.2004 das bis zu diesem Zeitpunkt geltende UWG außer Kraft getreten ist.

Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG. Nach diesen Vorschriften steht der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

Die Parteien sind Mitbewerber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, denn beide bieten Waren im gleichen Marktsegment an.

Beide unterliegen als Anbieter auf dem deutschen Markt den Bestimmungen des Jugendmedienschutzvertrages, der in § 4 Abs. 2 den Anbietern von pornografischen Darstellungen die Sicherstellung auferlegt, dass Inhalte nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Diese Voraussetzung erfüllt das von der Antragsgegnerin verwendete AVS nicht. Zwar bedeutet das Merkmal der Sicherstellung nach Auffassung der Kammer nicht, dass ein System zu wählen ist, das einen hundertprozentigen Schutz gewährleistet. Ein solcher Schutz wird in der Realität nicht zu erreichen sein. Sie ist jedoch der Auffassung, dass der Begriff der Sicherstellung nur erfüllt ist, wenn der Zugang durch die Errichtung eines regelmäßig wirksamen Hindernisses deutlich erschwert wird. Eine solche deutliche Erschwerung kann jedoch nicht erreicht werden, wenn das System überwunden werden kann mit Hilfe der Eingabe einer Personal- oder Passausweisnummer mit Postleitzahl des Ausstellungsortes. Eine – auch real existierende – Nummer können sich entsprechend interessierte Jugendliche einfach bei älteren Geschwistern, den Eltern oder volljährigen Freunden besorgen, ohne dadurch ei­nen Rechtsbruch zu begehen. Auch innerhalb des Familienkreises dürfte es nicht üblich sein, die Ausweispapiere wegzuschließen oder ein Verbot des Inhalts aufzustellen, die Ausweispapiere der Familienangehörigen nicht einzusehen. Wird eine solche real existierende Ausweisnummer benutzt, so ist auch die Postleitzahl der ausstellenden Behörde kein Problem und stellt kein wirksames Schutzkriterium dar. Dies gilt ebenso für den Schutzfilter, der nicht existente, im Internet angebotene Ausweisnummern aussortiert.

Ebenso wenig vermag das Erfordernis der Angabe einer E-Mail Adresse, einer real existierenden Adresse sowie der Angabe einer Bankverbindung den Zugang wirksam zu erschweren, denn viele Jugendliche verfügen sowohl über eine E-Mail Adresse als auch über ein Bankkonto, das von allen Banken kostenlos als Schülerkonto angeboten wird. Da die Jugendlichen dann auch über eine Kontokarte verfügen, erhalten auch sie alleine den Überblick über die erfolgten Abbuchungen.

Der Hinweis auf die vereinbarten AGB ist auch nicht geeignet, den Zugang zu erschweren. Mit Jugendlichen kann die Geltung von AGB nicht wirksam vereinbart werden.

Ebenso wenig vermag der Verweis der Antragsgegnerin auf die Verantwortung der Erziehungsberechtigten und deren Möglichkeiten, durch Einbau eines ICRA­Filtersystemes oder die Sperrung ihrer Ausweisnummern den Zugang zu erschweren, ihrem Verteidigungsvorbringen zum Erfolg zu verhelfen. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 JMStV richtet sich ausweislich des eindeutigen Textes an Anbieter, nicht jedoch an Erziehungsberechtigte, Hinzu kommt, dass nicht jedem Erziehungsberechtigten die Existenz entsprechender Schutzsysteme bekannt sein muss. Auch eine Sperrung von Ausweisnummern würde keinen Schutz bedeuten, da die Jugendlichen Ausweisnum­mern von Geschwistern oder Freunden nutzen könnten.

Auch stellt die Verwendung eines sicheren Systemes keinen Eingriff in das Elternrecht dar, da die Vorschrift des § 4 Abs. 2 JMStV den Erziehungsberechtigten behilflich ist, ihr Elternrecht auszuüben. Unerheblich ist, ob die jugendliche Entwicklung durch pornografische Darstellungen gefährdet wird, denn die entsprechende Schutzvorschrift, der die Antragsgegnerin als Anbieterin unterworfen ist, setzt eine solche Gefährdung nicht voraus.

Unerheblich ist ebenso, dass Gutachten auf dem Markt sind, die bestätigen, dass das von der Antragsgegnerin verwendete AVS ausreichend ist, denn diese Gutachten könnten nur Einfluss auf das subjektive Unlauterkeitselement haben. Nach Auffassung der Kammer ist dieses aber im Gegensatz zu § 1 UWG a.F. nicht erforderlich, denn die nachteiligen Auswirkungen einer Wettbewerbshandlung auf die übrigen Marktteilnehmer und den Wettbewerb bestehen unabhängig davon, welche subjektiven Vorstellungen der Handelnde hat (vgl. Prof. Dr. Köhler, Das neue UWG, NJW 2004, 2121 (2122  unter III. 1. c)). Im übrigen hätte sich der Antragsgegnerin die Erkenntnis aufdrängen müssen, dass im Vergleich zu anderen marktgängigen AVS ihr System unsicher ist. Auch ist jedem bekannt, dass im Grunde für jedes gewünschte Ergebnis eine Gutachtenmeinung zu finden.

Dieser Rechtsbruch begründet ein unlauteres Handeln der Antragsgegnerin, denn die von ihr verletzte Vorschrift des § 4 Abs. 2 JMStV ist dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Sie dient dem Schutz des minderjähri­gen Verbrauchers.

Die Handlung ist auch geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen. Zum einen ver­schafft sich die Antragsgegnerin einen Vorteil gegenüber der Antragstellerin durch die Verwendung eines kostenfreien Systems. Zum anderen werden jugendliche Benutzer ebenso wie Volljährige die Antragstellerin bevorzugen, da das von ihr verwendete AVS leichter zu überwinden ist. Diese Möglichkeiten wurden bereits oben dargestellt. Dage­gen erfordert die Überwindung des von der Antragstellerin benutzten AVS die Bereit­schaft eines Volljährigen, sich anzumelden, sich zu identifizieren und einen USB-Sticker zu bestellen. Es ist daher die Kenntnis und Einwilligung eines Volljährigen erforderlich.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kommt es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht auf das Bestehen eines Verfügungsgrundes an. Die neue Regelung des § 12 Abs. 2 UWG verzichtet im Rahmen der Durchsetzung von Unterlassungsan­sprüchen auf die Notwendigkeit der Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens.

Die seitens der Kammer erlassene einstweilige Verfügung ist nicht zu unbestimmt, denn sie untersagt der Antragsgegnerin die Verwendung des von ihm bisher verwandten AVS, ohne ihn auf ein anderes AVS festzulegen. Dies wäre nach Ansicht der Kammer unzulässig, da mit einer solchen Festlegung auf ein bestimmtes System die Antragsgegnerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit in unzulässiger Weise beeinträchtigt würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Kammer sieht keine Veranlassung ihre Streitwertfestsetzung zu ändern. Das Angriffsinteresse der Antragstellerin wird bestimmt von den Umfang der ihr entgehenden Einnahmen. Der Einnahmeverlust ist – wie ausgeführt – durch die leichtere Zugänglichkeit der pornografischen Darstellungen bei der Antragsgegnerin bedingt. Angesichts des Umfanges der Kostenpflicht ist der Streitwert angemessen bewertet

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