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OLG Hamburg: Einmal Rechtsmissbrauch, immer Rechtsmissbrauch?

Wenn einem Abmahner und seinem Rechtsanwalt einmal Rechtsmissbrauch bei Abmahnungen nachgewiesen worden ist, ist es nach unserer Erfahrung eigentlich so, dass dann in dieser Kombination auch nicht mehr abgemahnt wird.

Wenn bei einem in der Vergangenheit einmal festgestellten Rechtsmissbrauch dann mit zeitlicher Unterbrechung wieder abgemahnt wird, kann diese neue Abmahnung ebenfalls rechtsmissbräuchlich sein, so das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az.: 3 U 56/15).

In dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall waren durch eine Apotheke 2011 und 2012 eine Vielzahl von Abmahnungen ausgesprochen worden. Es wurden insgesamt 90 gerichtliche Verfahren geführt. Im Tatbestand des oben zitierten OLG Urteils heißt es insofern:

“Im Rahmen der Verhandlung mehrerer Berufungssachen vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht am 19. Februar 2013 hat die Klägerin nach entsprechendem Hinweis des Senats bezüglich der Rechtsmissbräuchlichkeit ihres Vorgehens verfahrensbeendende Erklärungen abgegeben, insbesondere sind Antrags- und Klagrücknahmen erfolgt.”

Die Abmahnerin selbst hatte durch diese Klagrücknahmen interessanterweise keine Kostenbelastung:

“Diese Kosten sind von der Haftpflichtversicherung des Drittwiderbeklagten (des Rechtsanwaltes der Abmahnerin) getragen worden abzüglich eines Selbstbeteiligungsanteils des Drittwiderbeklagten in Höhe von 2.500,00 Euro. Nachfolgend hat die Klägerin, vertreten durch den Drittwiderbeklagten außerhalb von Hamburg unter anderem in Bayreuth weitere wettbewerbsrechtliche Ansprüche aus vorangegangenen Abmahnungen gerichtlich geltend gemacht. Diese Rechtsstreitigkeiten sind in der Mehrzahl verloren gegangen, nachdem im Internet Berichte über die Rücknahme vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht veröffentlicht worden waren. Die diesbezüglichen Kosten in Höhe von 15.000,00 Euro hat der Drittwiderbeklagte übernommen; ein Regress gegenüber seiner Haftpflichtversicherung ist nicht erfolgt.”

Dies finden wir mehr als bemerkenswert.

Gegenstand des oben genannten Verfahrens vor dem OLG Hamburg war eine Abmahnung aus dem Jahr 2014, mit der die Abmahnerin die Abmahnkosten geltend machte. Vereinfacht gesagt wurde somit ca. zwei Jahre nach der ersten Abmahnwelle wiederrum abgemahnt.

Einmal Rechtsmissbrauch, immer Rechtsmissbrauch?

Das Gericht hat die Klage auf Erstattung der Abmahnkosten abgewiesen, da es die Abmahnung für rechtsmissbräuchlich hielt:

“Im Rahmen der Gesamtabwägung ist zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin in der Vergangenheit bei der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen bereits massiv rechtsmissbräuchlich vorgegangen ist. Dieser Umstand lässt zwar allein noch keinen hinreichend sicheren Schluss darauf zu, dass auch der neuerlichen Abmahntätigkeit der Klägerin identische Beweggründe zugrunde liegen, es rechtfertigt aber indiziell einen entsprechenden Verdacht.
Die Klägerin hat bereits kurz nach dem zum 1. Oktober 2011 erfolgten Erwerb der Apotheke damit begonnen, zahlreiche Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Preisangabenverordnung aussprechen zu lassen und nachfolgend entsprechende gerichtliche Verfahren angestrengt. So wurden in der Zeit von November 2011 bis Ende September 2012 wegen unzureichender Grundpreisangaben beim Vertrieb von Eiweiß-Produkten rund 80 Abmahnungen ausgesprochen. Ab dem 1. Oktober 2012 sind dann weitere 89 Abmahnungen ausgesprochen worden, und zwar überwiegend wegen unzureichenden Preisangaben beim Vertrieb von Artikeln der Sexualhygiene. Die Klägerin hat zudem nachfolgend rund 90 gerichtliche Verfahren geführt.

Bei den monierten Verstößen gegen die Preisangabenverordnung hat es sich um einfach zu ermittelnde Wettbewerbsverstöße gehandelt, die zudem durch entsprechende Ausdrucke des jeweiligen Internetangebots auch leicht zu belegen waren. Ein nachvollziehbares eigenes Interesse an dieser umfangreichen Abmahntätigkeit hat die Klägerin nicht dargelegt. Die abgemahnten Verstöße betrafen Eiweiß-Produkte und Artikel der Sexualhygiene, mithin Waren aus dem Randsortiment der Apotheke der Klägerin. Dass der Klägerin durch die abgemahnten Verstöße ein wirtschaftlich relevanter Schaden entstanden sein könnte, ist weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

Die durch die Abmahnungen sowie die gerichtlichen Verfahren ausgelösten Kosten, insbesondere Rechtsanwaltsgebühren waren jedoch erheblich. Ob dieses Kostenrisiko bei insgesamt € 1,3 Mio. liegt – wie die Beklagte meint – muss nicht entscheiden werden. Jedenfalls belaufen sich allein die Kosten der 189 Abmahnungen, mit welchen Verstöße gegen die Preisangabenverordnung nach einem Streitwert von mindestens € 10.000,00 geltend gemacht worden sind, auf insgesamt € 123.190,20 (=189 X € 651,80 = 1,3 Gebühr à € 631,80 zzgl. Telekommunikationspauschale von € 20,00). In diesem Betrag sind nur die anwaltlichen Gebühren des Drittwiderbeklagten enthalten.

Zur Bewertung des mit der Geltendmachung der Abmahnungen ausgelösten vollen finanziellen Risikos der Klägerin sind dem vorgenannten Betrag auch die erheblichen weiteren Kosten der Rechtsverfolgung, insbesondere die anwaltlichen Kosten der Gegenseite sowie die Gerichtskosten hinzuzufügen. Zwar kann angenommen werden, dass die Klägerin nicht damit rechnen musste, dass sich das hohe Kostenrisiko auch in vollem Umfang realisieren würde, denn sie hat gerade solche Wettbewerbsverstöße abmahnen lassen, die einerseits leicht über das Internet recherchierbar und daher durch Screenshots etc. auch gut nachweisbar sowie andererseits regelmäßig auch in rechtlicher Hinsicht zweifelsfrei als Wettbewerbsverstöße zu identifizieren waren. Gleichwohl verbleibt es angesichts der hohen Zahl der ausgesprochenen Abmahnungen bei einem nicht unerheblichen Kostenrisiko.
Dass dieses Risiko in einem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu den Einnahmen der Klägerin steht, kann nicht festgestellt werden. Zwar hat sie vorgetragen, dass sie mit ihrer Apotheke in der Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2014 einen Gesamtumsatz von € 673.499,00 erzielt habe, wovon € 429.057,00 auf Umsätze mit den gesetzlichen Krankenkassen entfallen seien. Die Beklagte hat jedoch unter Zugrundelegung der genannten Umsätze und der typischen Kostenstruktur einer Apotheke substantiiert ausgeführt, dass der Klägerin ein monatliches Nettoeinkommen von lediglich € 1.839,90 verbleibe.
Dem ist die Klägerin nicht substantiiert entgegen getreten, so dass der diesbezügliche Beklagtenvortrag als zugestanden zu behandeln ist. Das deutliche Missverhältnis zwischen dem geringen wirtschaftlichen Interesse der Klägerin an den geltend gemachten Rechtsverstößen sowie ihrer begrenzten Einnahmesituation einerseits und dem potentiell erheblichen Kostenrisiko, das mit der Geltendmachung verbunden war, andererseits, lassen diese Abmahnvorgänge als rechtmissbräuchlich erscheinen. Der wirtschaftliche Vorteil in Form von Anwaltshonoraren ist im Wesentlichen auf Seiten des Drittwiderbeklagten eingetreten. Diese Sachlage führt zu dem Schluss, dass die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu gedient hat, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.”

Im Weiteren begründet das OLG einen Rechtsmissbrauch insbesondere damit, dass wiederrum ein Wettbewerbsverstoß im Internet gerügt wurde, der leicht zu ermitteln ist. Die Grundstruktur des Vorgehens der Abmahnerin entspreche damit im Wesentlichen dem vorangegangenen (rechtsmissbräuchlichen) Handeln. Insbesondere sei kein wirtschaftliches Interesse feststellbar.

Gleiche Grundstruktur = Rechtsmissbrauch

Hierzu führt das OLG aus:

“Auch wenn der Umfang der jetzigen gegenüber der zurückliegenden Abmahntätigkeit reduziert und zudem der Gegenstand der Abmahnung nunmehr den Kernbereich des Apothekersortiments betrifft, zeigt sich die ansonsten übereinstimmende Grundstruktur des Vorgehens für die Annahme, dass die Grundlagen des Handelns der Klägerin unverändert geblieben sind, dass mitten auf die Verfolgung der jetzt geltend gemachten Ansprüche vorwiegend dazu gedient hat, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen lassen.”

Des Weiteren kam dazu, dass eine notarielle Unterlassungserklärung nicht “scharf gestellt” wurde. Hier hätte ein Androhungsbeschluss erwirkt werden müssen.

Kostenfreistellung bzw. Kostenübernahme durch Haftpflichtversicherung des Rechtsanwaltes

Zu dieser ungewöhnlichen Konstellation führt das OLG aus:

“Die Kostenübernahme durch den Drittwiderbeklagten (den Rechtsanwalt der Abmahnerin) bzw. seiner Haftpflichtversicherung hinsichtlich der Antrags- und Klagrücknahmen vom 19. Februar 2013 ist im Hinblick auf eine falsche anwaltliche Beratung und für sich genommen nicht geeignet, eine generelle Kostenfreistellung der Klägerin zu belegen.

Angesichts der Vielzahl der außergerichtlichen Abmahnungen und gerichtlichen Verfahren und der zum Zeitpunkt ihrer Geltendmachung nicht höchstrichterlich geklärten Frage des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG erscheint ein Zuraten des Drittwiderbeklagten zu der erfolgten sehr umfangreichen Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche zwar gewagt. Soweit die Klägerin auf diesen falschen anwaltlichen Rat vertraut hat, war der Drittwiderbeklagte jedoch zum Schadenersatz verpflichtet.”

Im Folgenden führt das OLG dann noch aus, dass die Abmahnerin erstmals im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits anwaltliche Gebühren an ihren Rechtsanwalt gezahlt hat und dass der Rechtsanwalt sehr umfassend anwaltlich tätig geworden sei, ohne dass die Abmahnerin jemals einen entsprechenden Kostenvorschuss geleistet hätte. In diesem Fall kam somit wirklich viel zusammen.

Man kann zwar nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Duo aus Abmahner und Rechtsanwalt quasi nie mehr abmahnen darf, wenn einmal Rechtsmissbrauch festgestellt wurde.

Wenn – vereinfacht gesagt – “einfach so weitergemacht wird” reagieren Gerichte, die mit derartigen Fällen bereits in der Vergangenheit befasst waren, natürlich zu Recht ungehalten.

Möglicher Rechtsmissbrauch? Wir beraten Sie.

Stand: 21.08.2017

Es beraten Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke

 

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