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Trotzdem Widerrufsrecht: Matratzen sind keine Hygieneartikel

  • Aktuell 04.07.2019:BGH zum Widerrufsrecht bei Hygieneartikeln: Eine Matratze ist kein Hygienepartikel, was aber dann?
  • Aktuell: EuGH: Widerrufsrecht auch bei einer Matratze – was die Entscheidung für Internethändler bedeutet

    Der europäische Gerichtshof (EuGH Urteil vom 27.3.2019 Az. C-68/17) hat sich nach Vorlage des BGH zum Thema Ausschluss des Widerrufsrechtes bei versiegelten Hygieneprodukten geäußert. Es ging in diesem Fall weniger um die Frage, ob ein Hygieneprodukt überhaupt versiegelt war. In unserer Beratungspraxis kommen häufig Fälle vor, in denen bei einem Hygieneprodukten bereits deshalb schon das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen ist, weil es an einer Versiegelung fehlt. Im vorliegenden Fall ging es um eine Matratze, die mit einer Schutzfolie versehen war. Nach Ansicht des EuGH dürfte dies wohl ein Siegel darstellen. Dem EuGH ging es vielmehr um die Frage, ob es sich bei einer Matratze um ein Produkt handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder ausgegebene Gründen nicht zur Rückgabe geeignet sind.

    Im Urteil heißt es insofern:

     “Folglich ist, wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass die in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht nur dann greift, wenn nach Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil es für den Unternehmer wegen ihrer Beschaffenheit unmöglich oder übermäßig schwierig ist, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wieder verkaufsfähig machen, ohne dass einem dieser Erfordernisse nicht genügt würde.
    Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass eine Matratze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter die in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht fallen kann.

    Zum einen ist nämlich nicht ersichtlich, dass eine solche Matratze, auch wenn sie möglichweise schon benutzt wurde, allein deshalb endgültig nicht von einem Dritten wiederverwendet oder nicht erneut in den Verkehr gebracht werden kann. Insoweit genügt der Hinweis, dass ein und dieselbe Matratze aufeinanderfolgenden Hotelgästen dient, ein Markt für gebrauchte Matratzen besteht und gebrauchte Matratzen einer gründlichen Reinigung unterzogen werden können.

    Zum anderen kann eine Matratze im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden.
    Insoweit wollte der Unionsgesetzgeber, wie sich aus den Erwägungsgründen 37 und 47 des Richtlinie 2011/83 ergibt, es dem Käufer eines Kleidungsstücks im Kontext eines Verkaufs im Fernabsatz erlauben, das Kleidungsstück anzuprobieren, um “die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise … festzustellen” und gegebenenfalls nach dieser Anprobe sein Widerrufsrecht durch Rücksendung an den Unternehmer auszuüben.

    Es steht aber außer Zweifel, dass zahlreiche Kleidungsstücke bei bestimmungsgemäßer Anprobe, wie es auch bei Matratzen nicht auszuschließen ist, direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, ohne dass sie deshalb in der Praxis besonderen Schutzanforderungen unterworfen würden, um diesen Kontakt bei der Anprobe zu vermeiden.

    Eine solche Gleichsetzung zweier Warenkategorien, nämlich Kleidungsstücke und Matratzen, kommt, wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, insofern in Betracht, als selbst bei direktem Kontakt dieser Waren mit dem menschlichen Körper davon ausgegangen werden kann, dass der Unternehmer in der Lage ist, sie nach der Rücksendung durch den Verbraucher mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen, ohne dass den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht genügt würde.”

    Mit anderen Worten: Was gereinigt werden kann, ist kein Hygieneprodukten. Somit besteht auch ein Widerrufsrecht bei Textilien, wohl selbst bei Unterwäsche. Ein Hygieneprodukt, dass bei einem versiegelten Verkauf somit unter den Ausschlussgrund des Widerrufsrechtes fällt, dürfte somit in erster Linie bei Produkten gegeben sein, die in Körperöffnungen eingeführt werden. Die Klobrillen-Entscheidung des LG Düsseldorf ist vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung möglicherweise nicht mehr zu halten.

    Wertersatz möglich

    Der EuGH weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Wert Ersatz denkbar ist, wenn die Ware so geprüft wird, wie dies zur Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht unbedingt notwendig wäre. Da ein ausprobieren jedoch in der Regel kein Wertersatzanspruch auslöst, dürfte es auch hier für die Händler schwierig werden.

Die Frage, wann bei versiegelten Produkten, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet ist, das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, beschäftigt aktuell immer mehr die Rechtsprechung.

Nachdem das Landgericht Düsseldorf ein Widerrufsrecht bei (igitt- benutzten!) Klobrillen angenommen hatte, hat sich das Landgericht Berlin jetzt zum Thema Matratzen geäußert.

LG Berlin: Eine Matratze ist kein Hygieneprodukt

Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Brandenburg. Hintergrund war der Kauf einer Matratze im Rahmen einer Kaffeefahrt. Ein Verbraucher hatte sich für fast 2.600,00 Euro zwei Matratzen andrehen lassen und verlangte einen Widerruf. Grundsätzlich besteht auch bei dem Kauf von Produkten bei einer Kaffeefahrt ein Widerrufsrecht. Wie üblich kommt es darauf an, ob es eine gesetzliche Ausnahme gibt, die das Widerrufsrecht ausschließt. Das Landgericht Berlin (LG Berlin, Urteil vom 03.08.2016, Az.: 15 O 54/16 (rechtskräftig)) hatte hier keinen Ausschluss des Widerrufsrechtes gesehen. Eigentlich ging es nur am Rande nach unserem Eindruck um die Frage, ob Matratzen als Hygieneartikel überhaupt vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sein können, der Verkäufer hatte in der Widerrufsbelehrung den Widerruf bei reduzierten, geöffneten oder benutzten Waren ausdrücklich ausgeschlossen. In dieser Form existiert der Ausschluss eines Widerrufsrechtes jedoch nicht.

In diesem Zusammenhang hatte sich das Gericht jedoch auch über den Ausschlussgrund “Gesundheitsschutz oder Hygiene” geäußert. Matratzen gehören nach Ansicht der Berliner Richter jedoch nicht dazu. Außerdem hätte keine Versiegelung im Sinne des Gesetzes vorgelegen, weil eine bloße Verpackung keine Versiegelung darstelle. Eine Versiegelung müsse eindeutig als Versiegelung erkennbar sein.

Bei diesem Fall kommen gleich mehrere Probleme in der Praxis zusammen:

Bei einer testweise genutzten Matratze liegt auch nach unserer Auffassung nicht unbedingt ein Hygieneprodukt vor bzw. eine Wiederbenutzung ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes durchaus möglich. Anders als im “Klobrillenfall” überwiegen hier wohl keine “Ekelgefühle”.

Siegel fehlt

Die Verbraucherzentrale legt den Finger jedoch zurecht in eine Wunde, die in der Praxis oft übersehen wird:

Selbst wenn es sich um ein Hygieneprodukt handelt, ist ein Ausschluss des Widerrufsrechtes nur möglich, wenn das Produkt durch den Verbraucher entsiegelt worden ist. Voraussetzung ist eine entsprechende Versiegelung. Das Thema haben wir bereits vor längerer Zeit in einem Beitrag einmal näher beleuchtet und insbesondere erläutert, welche Voraussetzungen eine entsprechende Versiegelung eigentlich erfüllen muss.

Nach unserem Eindruck ist der Handel auf das Thema “rechtskonforme Versiegelung” schlichtweg nicht vorbereitet, so dass selbst bei Produkten, bei denen Einiges dafür spricht, dass es sich um Hygieneprodukte handelt, das Widerrufsrecht dennoch besteht, weil schlichtweg keine ordnungsgemäße Versiegelung vorliegt. Wir dürfen in diesem Zusammenhang noch einmal das OLG Hamm (OLG Hamm, Az.: 4 U 212/09) zitieren:

“Die Entsiegelung soll dem Verbraucher deutlich machen, dass er die Ware behalten muss, wenn er diese spezielle Verpackung öffnet. Auch wenn ein ausdrücklich als solches bezeichnetes Siegel nicht erforderlich sein mag, genügt die übliche Verpackung solcher Waren mit Kunststoffen, die auch einen anderen Zweck, wie Schutz vor Verschmutzung, erfüllen kann, insoweit ohne jede Warnung nicht…”

Wer sich somit auf ein Hygienesiegel beziehen will, sollte dies auch als solches bezeichnen und kennzeichnen.

Stand: 26.03.2019

Es berät Sie: Rechtsanwalt Johannes Richard

 

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