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Wertersatz auch bei Kauf eines 90 Jahre alten Cognacs über das Internet (LG Potsdam)

Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist die Wertersatzpflicht im Deutschen Recht bei Käufen über das Internet sehr weitreichend. Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 03.11.2010 entschieden, dass auch bei einem Wasserbett, das durch den Kunden befüllt wird, im Falle des Widerrufes kein Wertersatz geltend gemacht werden kann.

Nun kommt sie langsam, die Einzelfallrechtsprechung mit mehr oder minder schrägen Fällen, die bei vielen Internethändlern für Kopfschütteln sorgen wird. Wie weit die Wertersatzpflicht im Extremen gehen kann, hatte das Landgericht Potsdam (Urteil vom 27.10.2010, Az. 13 S 33/10) zu entscheiden. Das Landgericht als Berufungsinstanz hatte über den Fall zu entscheiden, dass ein Internethändler eine Flasche Cognac des Jahrgangs 1919 zum Preis von 695,00 Euro verkaufte. Der Käufer erklärte den Widerruf und sandte die Flasche zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Der Internethändler machte eine Beschädigung der Flasche geltend, die mit einer Cellophan-Hülle und einem Geschenkband verschlossen war. Der Korken war mit einem Wachssiegel verschlossen und offensichtlich beschädigt. Der Käufer selbst hatte den Korken nicht geöffnet und somit nicht an der alten Spezialität genippt.

Sowohl die erste, wie auch die zweite Instanz haben den Internethändler zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt.

Das Amtsgericht Potsdam (Urteil vom 17.02.2010, Az. 31 C 209/09) hatte zunächst einmal angenommen, dass das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen sei, weil es sich bei dem Cognac um eine schnell verderbliche Ware im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB gehandelt habe. Dem ist bei einem über 90 Jahre alten Cognac zwanglos zuzustimmen.

Das Amtsgericht hatte ferner angenommen, dass die Entfernung der Cellophan-Hülle sowie die Herausnahme des Korken durchaus noch von der Prüfungspficht der Ware umfasst sei. Unabhängig davon, dass der Verbraucher den Korken offensichtlich nicht entfernt hatte, hat das Landgericht als Berufungsinstanz angenommen, dass bei einer derartigen Cognac-Flasche des Jahrgangs 1919 eine Entkorkung zum Zwecke der Überprüfung wohl lebensnah zu verneinen wäre. Warum gerade bei diesem alten und wertvollen Schätzchen der Verbraucher nicht wie auch sonst ein Prüfungsrecht durch “Öffnen” der Ware haben soll, bleibt jedoch unklar. Es dürfte eigentlich kaum einen Unterschied machen, ob es sich um eine billige oder teure Spirituose handelt. Vor dem Hintergrund, dass die Cognac-Flasche tatsächlich nicht geöffnet wurde, sah das Landgericht jedenfalls keine Beschädigung der Kaufsache durch Entfernung der Cellophan-Hülle wie auch des Geschenkbandes.

Wie weit geht das Prüfungsrecht bei Lebensmitteln?

Dass immer und ohne Wenn und Aber Wertersatz zu leisten ist, ist -was oft übersehen wird- nicht der Fall. Auch der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass bei einem Verstoß gegen Treu und Glauben, wie auch bei einer sogenannten ungerechtfertigten Bereicherung durchaus ein Wertersatz durch den Händler geltend gemacht werden kann. Bei einem derart alten und wertvollem Produkt ein Verstoß gegen Treu und Glauben anzunehmen, dürfte letztlich eine Frage der Rechtsprechung sein. Sowohl auf alte Spirituosen wie auf alte Weine lässt sich die Frage übertragen, bis zu welchem Alter und bis zu welchem Wert eines Lebensmittels hier der Verbraucher eigentlich ein Prüfungsrecht hat. Einmal angenommen, ein sehr alter Wein ist bei einem Verkauf über das Internet nicht mehr genießbar, ist eigentlich nicht einzusehen, weshalb hier nicht doch ein Prüfungsrecht bestehen soll.

Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage der Prüfung von Lebensmitteln in seiner “Wasserbett-Entscheidung” im Nebensatz geäußert, was durchaus Hoffnung für Internethändler eröffnet. So heißt es doch in der Entscheidung:

“Ob insofern bei besonderen Produkten (z.B. Lebensmitteln) eine andere Beurteilung geboten ist und in solchen Fällen bereits das Öffnen der Verpackung über eine bloße Prüfung im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 2 BGB a.F. hinausgeht, weil es auch im Ladengeschäft nicht möglich wäre, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.”

Aus diesem Satz kann man durchaus schließen, dass der BGH kleine aber feine Unterschiede beim Wertersatz im Rahmen des Lebensmittelkaufes machen könnte. Entschieden ist dies noch nicht. Die Argumentation liegt eigentlich auf der Hand: Ein Wasserbett kann man aufgebaut im Laden ausprobieren, wie auch viele andere Produkte des täglichen Bedarfs. Ein Probieren von Lebensmitteln ist dagegen unüblich. Bevor somit Deutschlands Internethändler, die Lebensmittel verkaufen, endgültig zum Selbstbedienungsladen werden, ist zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof sich dieser Frage bald einmal annehmen wird.

Stand: 02.12.2010

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard, Rostock

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