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Leitsatz (amtlich):

Der von der Werbung eines Internet-Versandhauses angesprochene Durchschnittsverbraucher erwartet in der Regel, daß die beworbene Ware unverzüglich

versandt werden kann, wenn nicht auf das Bestehen einer abweichenden Lieferfrist unmißverständlich hingewiesen wird.

BGH, Urt. v. 7. April 2005 – I ZR 314/02 – OLG Hamburg

LG Hamburg

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind u.a. Wettbewerber beim Vertrieb elektrischer Haushaltsgeräte.

Die Beklagte bietet ihre Waren im Internet an. Sie warb am 23. November

2001 auf der Einstiegsseite ihrer Website u.a. wie folgt für eine Kaffeemaschine

Jura IMPRESSA S 95PL:

Der jeweils geltende Tagespreis mußte telefonisch bei der Beklagten abgefragt

werden. Für die Auslieferung der Maschine galt eine Lieferfrist von drei

bis vier Wochen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob durch Anklicken der Kaffeemaschine

eine Produktseite aufgerufen werden konnte, auf der sich auch ein

Hinweis auf die Lieferzeit befand.

Die Klägerin hat behauptet, die aufrufbare Seite habe außer der Telefonnummer

des Call-Centers der Beklagten keine weiteren Informationen enthalten.

Die Beklagte hat demgegenüber vorgebracht, die Produktseite sei mit einer

Produktbeschreibung und dem unübersehbaren Hinweis auf die Lieferfrist abrufbar

gewesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Bewerbung von nicht sofort zur Auslieferung

bereitstehenden elektrischen Küchenartikeln sei irreführend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin

hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen

Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Internet elektrische Haushaltsartikel

zu bewerben, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit

der Veröffentlichung der Werbung nicht zur Auslieferung stehen, insbesondere

wie dies aus den dem Urteil beigefügten Anlagen JS 1 und 2 ersichtlich ist.

Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt

die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch

aus § 3 UWG a.F. für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

Das Publikum entnehme der beanstandeten Werbung, daß die abgebildete

Kaffeemaschine zur sofortigen Auslieferung bereitstehe, und werde in dieser

Erwartung unstreitig getäuscht. Es komme nicht darauf an, daß die vollständige

Information möglicherweise durch Aufruf eines Produktblattes erhältlich

gewesen sei. Daher könne unterstellt werden, daß ein Produktblatt mit dem

Hinweis auf die Lieferfrist habe abgerufen werden können.

Eine Werbung sei irreführend, wenn die angebotene Ware, die zum persönlichen

Gebrauch bestimmt sei, entgegen der durch die konkrete Werbemaßnahme

hervorgerufenen Erwartung des Verkehrs zum angekündigten Zeitpunkt

nicht oder nicht in ausreichender Menge im Verkaufslokal vorrätig sei und

zur sofortigen Mitnahme bereitstehe. Diese Verkehrserwartung gelte auch für

den Versandhandel mit elektrischen Haushaltsartikeln. Der Verkehr erwarte

angesichts der ihm geläufigen Gebräuche im Versandhandel, daß zum Verkauf

beworbene elektrische Haushaltsgeräte bei Eingang der Bestellung nicht erst

vom Verkäufer beschafft werden müßten, sondern unverzüglich versandfertig

gemacht und auf den Weg gebracht würden. Dies könne der Senat aus eigener

Anschauung beurteilen, da seine Mitglieder zu den mit der Werbung angesprochenen

Verkehrskreisen gehörten.

Das Verbot irreführender Angaben über die Lieferbarkeit von beworbener

Ware solle verhindern, daß der Verbraucher durch solche Angaben angelockt,

im Geschäft des Werbenden enttäuscht und gegebenenfalls veranlaßt werde,

andere Waren zu kaufen. Dieser Grundsatz sei auf den vorliegenden Fall auch

dann übertragbar, wenn ein Produktblatt mit aufklärendem Hinweis über die

Lieferfrist vorhanden gewesen sei. Es könne zwar davon ausgegangen werden,

daß es fortgeschrittene Internetnutzer gebe, die ein beworbenes Produkt anklickten,

um nähere Informationen zu erhalten. Diese würden nicht über die Lieferbarkeit

der Kaffeemaschine getäuscht, da sie nach dem Vorbringen der Beklagten

über die Lieferfrist von drei bis vier Wochen aufgeklärt würden. Es gebe

aber auch Nutzer des Internets, denen es nicht geläufig sei, daß ein beworbenes

Produkt zum Erhalt weiterer Informationen angeklickt werden müsse. Es

könne nicht unterstellt werden, daß der durchschnittlich informierte, aufmerksame

und verständige Verbraucher als Anfänger in der Nutzung des Internets

schon über das Erfahrungswissen eines geübten und versierten Nutzers verfüge.

Eine als rechtlich relevant anzusehende Gruppe von Verbrauchern habe

keinen Anlaß, nach weiteren Informationen zu forschen, wenn sie nicht etwa in

Form von Links auf ein weiteres Informationsangebot hingewiesen werde. Für

einen Teil dieser Verbraucher werde die Werbung der Beklagten möglicherweise

unbeachtlich sein, weil sie nicht wüßten, wie sie den aktuellen Tagespreis in

Erfahrung bringen könnten. Diejenigen Verbraucher, die sich dennoch für das

Gerät interessierten, könnten über die ihnen aus den Printmedien geläufigen

Suchstrategien den Link “Impressum” anklicken und die Telefonnummer des

Call-Centers der Beklagten erfahren. Diese Interessenten befänden sich in derselben

Situation wie diejenigen, die ein Ladengeschäft in der irrigen Annahme

aufsuchten, daß ein gerade in einer Werbeanzeige angepriesenes Gerät zum

Verkauf vorrätig sei. Der Verkäufer erhalte so die Möglichkeit eines werbenden

Verkaufsgesprächs, die er ohne die irreführende Werbung nicht erhalten hätte.

Es widerspreche jedenfalls nicht jeder Lebenserfahrung anzunehmen, daß der

Kunde, wenn ihm die Lieferfrist bei dem Telefonat überhaupt mitgeteilt werde,

von dem Verkäufer zum Abwarten der Frist überredet oder gar auf ein anderes

Produkt hingelenkt werde.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben

Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung

der Sache an das Berufungsgericht.

1. Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die

Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom

3. Juli 2004 anzuwenden. Der im Streitfall auf eine Wiederholungsgefahr gestützte

Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn das beanstandete

Verhalten auch zur Zeit der Begehung wettbewerbswidrig war (vgl. BGH, Urt. v.

20.1.2005 – I ZR 96/02, WRP 2005, 474, 475 – Direkt ab Werk).

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die beanstandete Werbung der

Beklagten im Internet sei irreführend und deshalb unlauter (§§ 3, 5 UWG; § 3

UWG a.F.), hält auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen

der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Ob eine Werbung irreführende Angaben enthält, bestimmt sich, wie

das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, maßgeblich danach, wie der

angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung aufgrund ihres Gesamteindrucks

versteht (st. Rspr.; vgl. BGHZ 151, 84, 91 – Kopplungsangebot I; BGH,

Urt. v. 16.12.2004 – I ZR 222/02, WRP 2005, 480, 483 – Epson-Tinte, m.w.N.).

Die Werbung der Beklagten für die von ihr angebotene Kaffeemaschine richtet

sich an den Verbraucher. Demgemäß ist auf das Verständnis eines durchschnittlich

informierten und verständigen Verbrauchers abzustellen, der der

Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (st.

Rspr.; vgl. BGHZ 156, 250, 252 f. – Marktführerschaft, m.w.N.).

Stehen die einzelnen Angaben in einer in sich geschlossenen Darstellung,

so dürfen sie nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen werden (vgl. BGH,

Urt. v. 14.12.1995 – I ZR 213/93, GRUR 1996, 367, 368 = WRP 1996, 290

– Umweltfreundliches Bauen; BGH WRP 2005, 480, 484 – Epson-Tinte). Ob

mehrere Angaben innerhalb einer Werbeschrift oder einer sonstigen (äußerlich

einheitlichen) Werbedarstellung selbst bei einer gewissen räumlichen Trennung

(z.B. beim Abdruck auf verschiedenen Seiten eines umfangreichen Katalogs)

gleichwohl, beispielsweise wegen eines inhaltlichen Bezugs oder wegen eines

ausdrücklichen Verweises, als zusammengehörig aufgefaßt werden oder nicht,

richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BGH WRP 2005,

480, 484 – Epson-Tinte).

b) Diese Grundsätze gelten für die Werbung im Internet in entsprechender

Weise (BGH WRP 2005, 480, 484 – Epson-Tinte).

aa) Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 UWG ist es irreführend, für eine Ware zu

werben, die unter Berücksichtigung der Art der Ware sowie der Gestaltung und

Verbreitung der Werbung nicht in angemessener Menge zur Befriedigung der

zu erwartenden Nachfrage zur Verfügung steht. Diese Regelung findet ihre

Rechtfertigung darin, daß der Verbraucher erwartet, daß die angebotenen Waren

zu dem angekündigten oder nach den Umständen zu erwartenden Zeitpunkt

verfügbar sind, so daß die Nachfrage befriedigt werden kann. Die Vorschrift

des § 5 Abs. 5 Satz 1 UWG knüpft damit an die Grundsätze an, die die

Rechtsprechung zur Vorratshaltung im stationären Handel im Rahmen des § 3

UWG a.F. entwickelt hat.

Diese Grundsätze gelten in modifizierter Weise auch hinsichtlich der

Werbung für einen Versandhandel im Internet. Hier erwartet der Verbraucher in

der Regel, daß die beworbene Ware unverzüglich versandt werden kann, un-

abhängig davon, ob der Werbende die Ware selbst vorrätig hält oder sie bei

einem Dritten abrufen kann.

Der Verkehr erwartet bei Angeboten im Internet, die anders als Angebote

in einem Versandhauskatalog ständig aktualisiert werden können, mangels anderslautender

Angaben die sofortige Verfügbarkeit der beworbenen Ware. Die

Rücksichtnahme auf diese Erwartung des Verkehrs belastet den Unternehmer,

der einen Versandhandel betreibt und sein Warenangebot im Internet bewirbt,

nicht in unzumutbarer Weise. Es bleibt ihm unbenommen, durch geeignete Zusätze

auf einen bestimmten Angebotszeitraum oder Lieferfristen hinzuweisen,

wenn er nicht in der Lage ist, eine Nachfrage tagesaktuell zu erfüllen.

Mit Recht hat das Berufungsgericht daher angenommen, der von der

Werbung eines Internet-Versandhauses angesprochene Durchschnittsverbraucher

gehe bei zum Verkauf beworbenen elektrischen Haushaltsartikeln grundsätzlich

von einer sofortigen Lieferbarkeit der beworbenen Ware aus, wenn

nicht auf das Bestehen einer abweichenden Lieferfrist unmißverständlich hingewiesen

werde.

bb) Entgegen der Auffassung der Revision können die verbraucherschutzregelnden

Bestimmungen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz auf die

Beurteilung der irreführenden Werbung im Bereich des Internet-Versandhandels

grundsätzlich keine einschränkende Bedeutung haben (vgl. BGH, Urt. v.

1.4.2004 – I ZR 227/01, GRUR 2004, 699, 701 = WRP 2004, 1160 – Ansprechen

in der Öffentlichkeit I).

c) Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts,

eine Irreführung liege auch dann vor, wenn der Hinweis auf die

Lieferfrist nicht auf der Eingangsseite, sondern erst auf einer durch Anklicken

eines elektronischen Verweises (Links) erreichbaren “Produktseite” gegeben

werde.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Inhalt der Produktseite,

auf der sich der Hinweis auf die Lieferfrist – unterstellt – befinde, sei für den Gesamteindruck

der beanstandeten Werbung ohne Bedeutung, weil diese Seite

von einer für die Irreführung maßgeblichen Gruppe von Verbrauchern nicht genutzt

werde. Es hat dabei darauf abgestellt, daß Anfänger in der Nutzung des

Internets keinen Anlaß hätten, nach weiteren Informationen zu forschen, wenn

sie nicht etwa durch elektronische Verweise auf ein weiteres Informationsangebot

hingewiesen würden. Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

bb) Ein von der Werbung der Beklagten angesprochener Verbraucher

hat bereits aktiv die Internetseite der Beklagten aufgesucht. Ein solcher Verbraucher

verfügt erfahrungsgemäß über die Fähigkeit, einen elektronischen

Verweis zu erkennen. Davon ist auch das Berufungsgericht für den Verweis

“Impressum” als selbstverständlich ausgegangen. Der Kaufinteressent wird dabei

gerade diejenigen über einen elektronischen Verweis verknüpften Seiten

aufrufen, die er zur Information über die von ihm ins Auge gefaßte Ware benötigt

oder zu denen er durch Verweise aufgrund einfacher elektronischer Verknüpfung

oder durch klare und unmißverständliche Hinweise auf den Weg bis

hin zum Vertragsschluß geführt wird (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – I ZR 222/00,

GRUR 2003, 889, 890 = WRP 2003, 1222 – Internet-Reservierungssystem;

BGH WRP 2005, 480, 484 – Epson-Tinte). Da der der streitgegenständlichen

Produktabbildung unterlegte elektronische Verweis keine Besonderheiten aufweist,

die seine Erkennbarkeit erschweren könnten, ist davon auszugehen, daß

der von der Werbung der Beklagten angesprochene Durchschnittsverbraucher,

der den Erwerb der beworbenen Kaffeemaschine in Betracht zieht, eine derarti-

ge elektronische Verweisung erkennt, die dadurch verknüpfte Produktseite aufruft

und als zum beworbenen abgebildeten Produkt gehörend ansieht.

Hat er diese Seite aufgerufen, wird er nach dem vom Berufungsgericht

unterstellten Vortrag der Beklagten über die bestehende Lieferfrist informiert. Im

wiedereröffneten Berufungsverfahren wird daher zu klären sein, ob die Produktseite

diese Angabe enthält.

III. Danach war auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben

und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über

die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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